(OT: „Freiheit“, Regie: Jan Speckenbach, Deutschland/Slowakei, 2017)
Raus, weg, alles hinter sich lassen: Nora (Johanna Wokalek) hat ihre Familie verlassen, plötzlich, ohne Nachricht. Von Berlin aus reist sie über Wien bis in die Slowakei. Zeitgleich hat ihr Mann Philip (Hans-Jochen Wagner) große Schwierigkeiten, mit der Situation umzugehen. Nun liegt es an ihm, die zwei Kinder allein großzuziehen. Und auch in der Arbeit läuft es nicht so, sein neues Mandat ist ein Albtraum: Er soll einen Jugendlichen verteidigen, der einen Flüchtling ins Koma geprügelt hat.
„Hast du dir schon mal gewünscht, weg zu sein?“, fragt Nora an einer Stelle ihre Kollegin. „Klar“, lautet die Antwort. Die Szene kommt erst relativ spät im Film, Freiheit wird zu dem Zeitpunkt bereits zu drei Viertel vorbei sein. So als hätte Regisseur und Co-Autor Jan Speckenbach den Anfang vergessen. Vergessen, dass da draußen ein Publikum ist, das vielleicht gerne wüsste, worum es hier eigentlich geht. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass für den deutschen Filmemacher die Begründung einfach zweitrangig ist. Wir bekommen zum Ende hin eine Ahnung, was die Frau veranlasst haben könnte, vom einen Moment zum nächsten zu verschwinden. Wirklich ausformuliert wird das jedoch nicht.
Frei für vs. frei von
Das passt zum Rest des Films, passt auch zu einer Protagonistin, die sich fast obsessiv jedem Konkreten entziehen will. Bei einer Zufallsbekanntschaft bejaht sie jede Frage, nur um einen echten Standpunkt zu verhindern. Sie wird ihren Namen verschweigen. Einen Bus wird sie nicht verlassen, um sich nicht entscheiden zu müssen. Zum Ende hin trägt sie sogar eine Perücke. Freiheit lautet der Titel von Speckenbachs Drama. Ein positiv besetzter Titel, der hier jedoch ins Ambivalente umgedeutet wird. Freiheit bedeutet hier nicht, die Freiheit etwas zu tun. Freiheit heißt, sich von allem loszulösen, von einem Ort, einer Familie. Von einem selbst.
Daraus eine Titelfigur machen zu wollen, ist nicht ohne Risiko. Wer Filme schaut, um sich mit jemandem identifizieren zu können, um mit der Person ein anderes Leben zu leben, der bekommt hier nur wenig Material. Dass Nora aussteigen will, ist klar. Aber nicht nur, dass der Anfang übersprungen wird. Der Sprung führt zudem ins Leere. In Freiheit gibt es keine Alternative, kein neues Leben. Es gibt nur Fragmente, Experimente, Momente. Zufallsbekanntschaften, Sex, Essen. Nora lässt sich treiben, ohne echtes Ziel. Auch die Szenen werden keinen gemeinsamen roten Faden finden. Sie sind einfach da, so wie Nora eben nicht da ist. Das wird manchen Zuschauer verprellen, der von einem Film ein bisschen mehr Narration wünscht. Freiheit, der beim Filmfest in Locarno Weltpremiere feierte und nun von Festival zu Festival weitergereicht wird, ist ein Werk, das spaltet – ohne zu provozieren, dafür ist das zu ruhig.
Offene Fragen bis zum Schluss
Der zweite Handlungsstrang um Philip, der nach dem Weggang von Nora ebenfalls ein neues Leben sucht, ist der konkretere. Und weniger interessante. Auch hier verzichtet Speckenbach darauf, alles zu Ende zu erzählen. Während dies zu Noras zielloser Selbstaufgabe gut passt, steht gerade der Aspekt Rassismus und der Fall der Flüchtlingsgewalt mitten im Raum, ohne dass sich genau erschließen würde, was er da tut. Zumindest aber wird auf diese Weise verdeutlicht, dass Freiheit für sich genommen kein eindeutiges Gut ist. Die Freiheit des einen bedeutet die Unfreiheit des anderen. Sich wirklich aus allem zurückziehen, das funktioniert dann doch nicht, dafür sind wir als Menschen zu sehr miteinander verknüpft. Können nicht ungestraft tun, was wir wollen, ohne dass es etwas auslöst. In dem Drama wird Freiheit zu einem Ideal, das nicht nur wenig ideal ist, sondern auch kaum zu erreichen. Wir können vielleicht einen kleinen Urlaub nehmen, von uns und unserem Umfeld. Beides wartet aber bereits auf uns, verfolgt uns sogar, egal wohin wir auch zu fliehen versuchen.
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