(OT: „Liebe auf Sibirisch“, Regie: Olga Delane, Deutschland, 2016)
Ob es denn eine Heirat aus Liebe wäre, will sie wissen. Müsse es wohl, lautet die Antwort, schließlich leben die beiden zusammen. Manchmal kann die Welt einfach und pragmatisch sein. Und in Onon-Borzya ist sie sehr einfach und pragmatisch. Das muss sie auch, denn in dem winzigen sibirischen Dorf bleibt kein Raum für große Theorien. Da ist immer irgendwo ein Schwein zu füttern, das Feld zu bestellen oder sich um ein Dach zu kümmern, das angesichts des nächsten Sturms schon nervös ist. Das Leben ist auch so anstrengend und hart genug. Warum also alles infrage stellen? Vor allem wenn sich die Traditionen so bewährt haben.
Traditionen wie: Frauen machen den Haushalt, Männer die richtige Arbeit. Frauen sind ohne Männer und Kinder nichts, finden nur als Teil ihre Bestimmung. So sagt es auch der Untertiel der Dokumentation: Ohne Ehemann bist du keine Frau! Nun ist Olga Delane aber ohne Ehemann und ohne Kinder, und das obwohl sie langsam auf die 40 zugeht. Wenn die aus Russland stammende, seit zwanzig Jahren in Deutschland lebende Regisseurin ihre Verwandten in Onon-Borzya besucht, dann ist das nicht nur geografisch eine weite Reise. Zumindest aus unserer Sicht bedeutet das eine Reise in die Vergangenheit. Eine Vergangenheit, von der man gar nicht so recht glauben mag, dass sie irgendwo noch Gegenwart sein soll.
Der sympathische Umgang mit dem Fremden
So kurios bis erschreckend die Rückständigkeit der Geschlechteransichten zu Beginn auch erscheint Delane ist offensichtlich nicht an einer Abrechnung interessiert. Oder daran, ihre Verwandten bloßzustellen. Stattdessen begegnet sie ihnen mit Sympathie, beruflicher Neugierde, aber auch einer gehörigen Portion Witz. Das harte Leben auf dem Land wird immer wieder durch komische Situationen oder auch unerwartete Aussagen aufgelockert. Der Mann ist das Oberhaupt in Liebe auf Sibirisch, keine Frage. Das bedeutet aber nicht, dass Frauen nichts zu sagen hätten. Inmitten der starren Hierarchien ist einiges in Bewegung, auch wenn das nicht immer sofort zu erkennen ist.
Auch der Dokumentarfilm bleibt nicht an einer Stelle stehen. Was als Begegnung in punkto Frauen- und Familienkonzeption beginnt, wandelt sich mit der Zeit immer stärker in ein Porträt des Dorfes an sich. Da werden die Menschen bei der Arbeit gezeigt, bei einem kleinen Dorffest, beim gemeinsamen Essen. Und so befremdlich die Ansichten für uns auch sein mögen, zumindest in diesem Rahmen funktionieren sie. In ansprechenden Bildern fängt Liebe auf Sibirisch das Leben auf dem Land ein. Ein Leben, das noch sehr im Verbund funktioniert – im Verbund mit anderen Menschen, im Verbund mit der Natur.
Zwischen Rückschritt und Idylle
Eine reine Idylle ist das zwar nicht, dafür ist der Kampf um das Brot auf dem Tisch zu hart, der Griff zum Alkohol zu häufig. Zumindest aber stellt Delane mit ihrem Werk doch auch unsere Weltbilder infrage. Es müsse ihr schlecht in Berlin gehen, wenn sie so herumlaufe, hören wir an einer Stelle. Und auch wenn das wohl die wenigsten erst einmal unterschrieben würden, so darf man hier doch im Laufe von 80 Minuten zumindest ins Grübeln kommen, ob da mehr dran ist, als wir glauben wollen. Ob die Errungenschaften, die wir für gegeben nehmen, im Einzelfall wirklich noch Errungenschaften sind.
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