(OT: „Machines“, Regie: Rahul Jain, Deutschland/Finnland/Indien, 2016)
Wir kommen täglich mit ihr in Berührung und wollen doch nicht so wirklich etwas mit ihr zu tun haben: unsere Kleidung. Wichtig ist sie für uns. Als Schutz vor Kälte zum Beispiel. Oder auch zu repräsentativen Zwecken, schließlich machen Kleider Leute. Aber welche Leute diese Kleider machen, das möchten wir dann doch vielleicht nicht allzu genau wissen. Aus gutem Grund: Oftmals ahnen wir, dass der Weg bis zu uns kein besonders schöner ist. Etwas genauer hinzuschauen, wäre für unser tägliches Seelenwohl nicht sehr förderlich. Doch genau deshalb ist die Textilindustrie ein lohnenswertes Thema für die Dokumentarfilmer dieser Welt, die uns etwas näherbringen, das wir noch nicht kennen, es vielleicht auch nicht kennen wollen. Bei Cotton durften wir hinter die Kulissen der chinesischen Baumwollverarbeitung blicken, in Machines steht nun ein Ausflug nach Indien an. Genauer nach Gujarat, wo eine kolossale Textilfabrik steht.
Der Titel ist dabei natürlich bewusst gewählt. Regisseur Rahul Jain, der hier sein Debüt abliefert, betont die mechanischen Abläufe, in denen kaum Platz für Menschen bleiben. Tatsächlich sind sie selten zu sehen, noch seltener zu hören. Zum Ende hin wird er verstärkt Leute vor die Kamera bitten, die von den zwei Seiten einer besonders hässlichen Medaille berichten werden. Die Angestellten müssen von einem Hungerlohn leben, der kaum in der Lage ist, einen Menschen zu ernähren. Geschweige denn mehrere. Der Chef wiederum wird voller Inbrunst verkünden, dass seine Untergebenen sich nicht zu wohl fühlen dürfen. Wer das tut, wird faul. Und überhaupt, mehr Geld? Keine Chance, das würde das undankbare Pack ohnehin nur für Alkohol und Zigaretten ausgeben. Das lohnt nicht.
Eine Welt ohne Menschen
Ohne dass Jain selbst zu Wort kommt, macht er auf diese Weise deutlich, wie wenig er von den Abläufen in der Fabrik hält. In Machines ist alles auf Effizienz ausgerichtet. Schön ist das nicht, vor allem für die Leute an den Maschinen. Aber es ist billig und schnell, so wie es der Endkunde eben will. Von daher wäre es gar nicht notwendig gewesen, wenn er später auch Kinder auf Müllbergen zeigt. Es ist sogar etwas unangenehm plakativ für einen Film, der sich ansonsten so weit zurückhält, dass er fast schon surreal wirkt. Musik fehlt völlig während der rund 70 Minuten, welche die Dokumentation dauert. Lediglich die Geräusche der Anlagen erinnern uns daran, dass wir noch hier auf der Erde sind, nicht auf einer fremden Welt.
Die fremde Kunst des Hässlichen
Denn fremd erscheinen sie, die riesigen Maschinen, welche der internationalen Coproduktion ihren Titel gaben. Fremd aber auch faszinierend. Wenn wir mit Jain durch die Hallen wandern, Berge von Stoffen sehen, blutrote Flüssigkeiten von der Decke fließen und unüberschaubare Konstruktionen das Bild dominieren, dann bedeutet das auch, eine unbekannte Welt zu betreten. Machines tut auch nicht viel dafür, dass wir diese Welt wirklich kennenlernen. So wie uns Kontexte vorenthalten bleiben, so fehlt es auch an Erklärungen, was genau wir da eigentlich sehen.
Nein, eine Sendung mit der Maus für Erwachsene ist das nicht. Abgesehen von den angesprochenen prekären Verhältnissen werden wir hier nichts lernen. Und doch ist die Dokumentation, die auf dem Dokfest in Leipzig ihre Deutschlandpremiere feierte, eine lohnenswerte Angelegenheit, die man als Zuschauer so schnell nicht wieder vergisst: Die kunstvollen Aufnahmen stehen in einem starken Kontrast zu den schäbigen Inhalten. Man kann sich an dieser Fabrik kaum sattsehen und schämt sich zugleich hinzuschauen.
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