(OT: „Lady and the Tramp“, Regie: Clyde Geronimi/Hamilton Luske/Wilfred Jackson, USA, 1955)
Nichts könnte zwischen sie und ihre Menschenfamilie geraten, davon war die Cocker-Daniel-Dame Susi immer überzeugt. Zu sehr war der Alltag aufeinander abgestimmt, zu groß die Zuneigung zwischen ihr und Herrchen und Frauchen. Doch als Jim und Betty plötzlich eigenen Nachwuchs bekommen, ist alles anders. Nun dreht sich alles nur noch um das Baby, für Susi interessiert sich keiner mehr wirklich. Richtig schlimm wird es, als die beiden zusammen in Urlaub fahren und Tante Clara mit ihren beiden hinterhältigen Katzen anrückt. Denn die will Susi am liebsten ganz aus dem Haus haben. Zum Glück gibt es da aber noch den Streuner Strolch, der sich der Hundedame annimmt und mit ihr so manches Abenteuer übersteht.
Erinnerungswürdige Szenen hat es im Laufe der Zeit bei sehr vielen Animationsfilmen von Disney gegeben. Mogli, wie er sich in Das Dschungelbuch auf dem Bauch von Balu auf dem Fluss treiben lässt. Der Moment, wenn Belle und das Biest in Die Schöne und das Biest im großen Ballsaal tanzen, während das Titellied ertönt. Aber kaum eine Szene hat einen einzigen Film wohl derart geprägt wie diese: Susi und Strolch sitzen an einem kleinen Tisch in einem Hinterhof, schlürfen zusammen Spaghetti, bis ungeplant, aber nicht ungewollt ihre Schnauzen sich berühren. Selbst wer den Film jahrelang nicht gesehen hat, wird diesen Augenblick nicht vergessen. Und selbst wer Susi und Strolch gar nicht kennen sollte, dürfte dem Bild schon in einem der vielen Filmzitate begegnet sein.
Viele Köche …
Das spricht zum einen natürlich für die Szene selbst, die geradezu zum Aushängeschild einer jeden unschuldigen, gerade beginnenden Liebe wurde – auch wenn es hier Hunde sind, keine Menschen. Andererseits hängt dies auch mit einem Manko des Films zusammen: Der Inhalt von Susi und Strolch ist ziemlich dünn und bietet vergleichsweise wenige Höhepunkte, die als Konkurrenz in Frage kämen. Dabei hatte man viele Jahre an diesem gearbeitet. Die Idee für die Heldin hatte Joe Grant bereits 1937, inspiriert von seiner eigenen Hündin. Die wurde in den 40ern mit einer Kurzgeschichte von Ward Greene gekreuzt, die Walt Disney gelesen hatte. In dieser ging es um einen zynischen Hund, ein ideales Gegenstück für die naive, verhätschelte Susi. Auch andere Einfälle wurden ausprobiert, die beiden Siamkatzen von Tante Clara sind ein Überbleibsel davon.
All das führt jedoch nicht zu einem wirklich roten Faden zusammen. Die Liebesgeschichte zwischen den beiden ungleichen Hunden ist sicher das bekannteste Element von Susi und Strolch, aber eben nur eines von mehreren. Und nicht einmal unbedingt das stärkste. Schöner ist beispielsweise der Einstieg, wenn die beiden Protagonisten noch nicht derart vermenschlicht werden, dass von Rassentrennung die Rede ist und die Tiere sogar Aushänge lesen können. Stattdessen gibt es den Alltag eines Hundes. An dieser Stelle gab man sich bei Disney auch richtig Mühe, die Perspektive eines Vierbeiners anzunehmen.
Das betrifft einerseits den Inhalt. Wenn Susi vergeblich versucht, sich einen Reim drauf zu machen, weshalb sie plötzlich so ignoriert wird, während das Publikum längst Bescheid weiß, dann ist das ebenso einfühlsam wie rührend. Dazu passt auch wunderbar, dass in der englischen Originalfassung die Besitzer keine richtigen Namen haben, sondern nur unter „Darling“ und „Jim Dear“ laufen, die jeweiligen Kosenamen. Denn etwas anderes hat Susi ja nie gehört. Die Hundeperspektive betrifft aber auch die konkrete optische Gestaltung, die nur selten einen Blick auf die Gesichter der Menschen erlaubt. Ein bisschen wie bei den Peanuts sieht man immer nur den Körper, die Köpfe sind irgendwo außerhalb des Bildausschnitts.
Optischer Festschmaus
Visuell ist Susi und Strolch ohnehin ganz großes Kino – und das nicht nur, weil es der erste abendfüllende CinemaScope-Zeichentrickfilm war. Wie schon bei Bambi damals nahm man sich reale Tiere zum Vorbild und studierte deren Bewegungsabläufe ganz genau. Bis auf die eine oder andere Stilisierung ist es fast schon unheimlich, wie natürlich die Animationen sind. Wenn dann doch derart fantastische Hintergrundbilder hinzukommen, realistisch und detailreich gleichermaßen, ist das ein Fest fürs Auge. Als Sahnehäubchen gab es schöne Licht-und-Schatten-Momente oben drauf, die ebenfalls dazu beitragen, dass der Film unglaublich lebendig wirkt.
Aufgrund der banalen Geschichte kann es Susi und Strolch nicht mit den ganz großen Klassikern aus dem eigenen Haus aufnehmen, der latente Rassismus in Bezug auf die beiden Siam-Katzen stößt heute auch unangenehm auf. Ähnlich zu Dumbo ist die Romanze der zwei Vierbeiner ein Film, der sich in erster Linie auf den eigenen Charme und den Niedlichkeitsfaktor verlässt, drumherum eher notdürftig eine Geschichte bastelt. Aber wenn der Charme so groß ist wie hier, dann nimmt man das dann doch gern in Kauf: Die zeitlose Romanze verzaubert auch mehr als 60 Jahre später noch.
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