(OT: „Axolotl Overkill“, Regie: Helene Hegemann, Deutschland, 2017)
Seit dem Tod ihrer Mutter lebt Mifti (Jasna Fritzi Bauer) mit ihren älteren Halbgeschwistern Annika (Laura Tonke) und Edmond (Julius Feldmeier) in einer Wohnung in Berlin. Theoretisch zumindest, denn praktisch verbringt sie ihre Zeit viel lieber unterwegs. Da wäre Alice (Arly Jover), mit der sie eine leidenschaftliche Affäre führt. Oder auch die Schauspielerin Ophelia (Mavie Hörbiger), die sie eines Tages zufällig kennenlernt und mit der sie nachts um die Häuser zieht. Aber dieses Leben voller Partys, Drogen und Alkohol fordert auch seinen Tribut, die 16-Jährige verliert zunehmend den Halt.
Ein paar Jahre ist es nun her, dass Helene Hegemann – wenn auch ungewollt – eine Debatte anstieß, was ein künstlerisches Werk in Zeiten der geistigen Zweitverwertung noch wert ist. Lassen sich eigene Kreationen überhaupt sauber von unseren Inspirationen trennen? Wo endet die artistische Eigenleistung, wo beginnt das Plagiat? Vergleichbar kontrovers wie der Roman wird Hegemanns Verfilmung desselben sicher nicht sein. Das liegt auch an der mangelnden Aufmerksamkeit, die der Adaption zuteilwurde. Während das Buch ein absoluter Bestseller war, ging Axolotl Overkill trotz Auszeichnung beim Sundance Filmfestival ziemlich unter.
Mit Vollgas ins Nirgendwo
Das ist eigentlich ziemlich schade. Denn egal, wie man nun zu der literarischen Vorlage steht, der Film selbst ist ein aufregendes Porträt einer Jugendlichen, die ihren Platz im Leben sucht. Viele Werke handeln davon natürlich, kaum ein Segment wird ähnlich oft und gut bedacht wie der des Coming-of-Age-Films. Der Unterschied: Während die Protagonisten bei den Kollegen oft ihren Platz in der Welt finden oder doch zumindest eine Idee, wie dieser aussehen könnte, bleibt Mifti eine Fremde. Eine, die nirgends hingehört. Ähnlich wie der titelgebende Axolotl – ein bizarres Wesen zwischen Fisch und Eidechse mit Kiemen und Beinen, das nie sein Larvenstadium hinter sich lässt –, so bleibt auch Mifti ohne eine echte Entwicklung.
Dabei kann man ihr kaum zum Vorwurf machen, sie wäre träge. Von der mangelnden Bereitschaft, das morgendliche Bett für die Schule zu verlassen, einmal abgesehen, ist sie überaus aktiv. Ständig ist sie unterwegs, feiert, nimmt Drogen, Alkohol oder Zigaretten, will mit wildfremden Menschen Sex oder beschimpft sie. Da macht es dann auch keinen Unterschied, ob es sich um Verwandte, das Schulpersonal oder Zufallsbekanntschaften handelt, mit der Jugendlichen legt sich besser niemand an.
Wild, exzessiv und irgendwo traurig
Das ist vergleichbar ungestüm und wild wie andere Jugendfilme, die ihr Heil im Exzess suchen – beispielsweise Tiger Girl. Glücklicherweise fiel die Wahl der Hauptdarstellerin hier auf Jasna Fritzi Bauer. Die durfte schon 2011 in Ein Tick anders demonstrieren, dass sie keine Probleme damit hat, in Filmen zu zetern und zu wüten. Und auch in Scherbenpark oder About A Girl hat sie sich in der Rolle unzähmbarer Jugendlicher profiliert. Wenn sie durch die Szenerie rast, alles herumwirbelt und zerstört, dann ist das schon ein beeindruckender Anblick.
Anders als die prügelnden Kolleginnen in Tiger Girl ist sie aber eigentlich gar nicht darauf aus, anderen zu schaden. Sie ist keine lustvolle Antagonistin, wirkt eher traurig denn böse. Dass dabei das eine oder andere Klischee eingearbeitet wird und manchmal schlüssige Erklärungen fehlen – geschenkt. Ebenso wenn Zufälligkeiten die Geschichte bestimmen. Axolotl Overkill ist tatsächlich eine Art Overkill, eine Überdosis an schnell zusammengeschnittenen Eindrücken und Passagen, laut, schrill und dreckig, die gleichzeitig fesselt und überfordert. Die keine Antworten auf die großen Fragen des Lebens gibt, sie auch gar nicht geben will. So wie sich das Leben nicht darum schert, ob du damit zurechtkommst. Weitermachen bis zum Umfallen lautet die Devise. Und manchmal eben auch darüber hinaus.
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