(OT: „Blade Runner 2049“, Regie: Denis Villeneuve, USA, 2017)
Im Jahr 2049 sind Replikanten – künstlich erschaffene, täuschend echt aussehende Menschen – ohne weitere Probleme in den Alltag integriert. Widerstände, wie man sie von alten Modellen noch kannte, gehören der Vergangenheit an. Einige wenige Überbleibsel sind aber noch immer in der freien Wildbahn unterwegs. Diese aufzutreiben und unschädlich zu machen, ist die Aufgabe der Sondereinheit „Blade Runner“. Als K (Ryan Gosling) eines Tages im Auftrag seiner Chefin Lieutenant Joshi (Robin Wright) unterwegs ist, macht er jedoch eine Entdeckung, die bislang als unmöglich galt: Offensichtlich war es einer Replikantin gelungen, Nachkommen zu zeugen. Für Joshi ist klar, dass niemand davon erfahren darf, um die öffentliche Ordnung nicht zu gefährden. Der Industrielle Niander Wallace (Jared Leto), der für die Produktion von Replikanten verantwortlich ist, hat jedoch nicht vor, sich diese Entdeckung entgehen zu lassen und schickt daher seine treue Untergebene Luv (Sylvia Hoeks) hinterher.
Nach den letzten Jahren ist das mit den Fortsetzungen bzw. Reboots lange zurückliegender Kulttitel so eine Sache. Vereinzelt darf man sich über das Ergebnis freuen. Doch für jedes Positivbeispiel wie Creed – Rocky’s Legacy oder Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht kommen ein halbes Dutzend Rohrkrepierer, die einem das Herz bluten lassen. Und so war es dann auch mit einer Mischung aus Hoffen und Bangen, mit der man Blade Runner 2049 entgegenblickte. Hoffen, weil hier Denis Villeneuve Regie führt, der seit Prisoners (2013) einen unglaublichen Lauf hat. Kaum jemand schafft derzeit wohl vergleichbar den Spagat zwischen Mainstream und Arthaus wie er. Und doch stand natürlich die Frage im Raum: Braucht es tatsächlich noch einen Nachfolger zu Blade Runner? Wurde die Geschichte nicht – auch dank einer Reihe verschiedener Cuts – endlich zu Ende erzählt?
Die altbekannte Zukunft
Die schlechte Nachricht vorweg: So richtig viele neue Impulse setzt Blade Runner 2049 tatsächlich nicht. Hampton Fancher, der einer der beiden Drehbuchautoren war, die „Träumen Androiden von elektrischen Schafen?“ von Philip K. Dick adaptierten, war auch dieses Mal für den Inhalt verantwortlich. Und zumindest für den heute 79-Jährigen scheint sich nicht sehr viel in den vergangenen 35 Jahren getan zu haben. Die meisten Elemente fand man in der Form bereits im Original. Spätere Science-Fiction-Werke wie Ghost in the Shell oder Her lieferten darüber hinaus noch ein paar Inspirationen. Die Fragen nach Identität und Erinnerungen sind geblieben, ebenso die nach Gefühlen – können künstliche Wesen echte Gefühle haben?
Blade Runner 2049 ist inhaltlich daher weniger reizvoll und fordernd als Villeneuves letztjähriges Science-Fiction-Meisterwerk Arrival. Er wird sicher auch keinen vergleichbaren Fußabdruck wie der erste Teil hinterlassen, der nach einem mauen Ergebnis an den Kinokassen zu einem Kultfilm avancierte. Und doch steht der Science-Fiction-Film dem Vorgänger qualitativ nicht wirklich nach. Er nimmt funktionierende Versatzstücke, poliert sie, verbessert sie in dem Maße, wie auch die Replikanten weiter verbessert wurden. Dass nun auch eine Fortpflanzung der künstlichen Menschen möglich sein soll, eröffnet den ethischen und existenzphilosophischen Überlegungen neue Wege, hat zudem deutlich biblische Implikationen.
Die eigentliche Stärke ist jedoch, wie Blade Runner 2049 aus diesen Einzelpunkten eine Welt erschafft. Die dreckig-wuselige Stadt, wie wir sie vor 35 Jahren sehen durften, ist einer düsteren Zukunft gewichen, die keinen Platz mehr für das Leben lässt – weder künstliches, noch organisches. Weite Aufnahmen, Erinnerungen an eine vergangene Zivilisation, auffallend viele Orangetöne, was einen interessanten Kontrast zu den meist graudominierten Endzeitvisionen der Kollegen darstellt. Allein schon für diese fantastischen Bilder, die von einem ungewohnt variantenreichen Score von Hans Zimmer untermalt werden, lohnt es sich, hier einmal ein paar Jahrzehnte in die Zukunft zu reisen. Eine Zukunft, die uns fremd und gleichzeitig vertraut ist, in der futuristische Wunderwerke auf Nostalgie treffen. Und auf Melancholie.
Ein künstliches Herz in der Tristesse
Ganz ohne Gefühle ging es natürlich auch schon in Blade Runner nicht. Beim Nachfolger werden diese nun weiter vertieft. Große Dramen werden nicht ausgepackt, das wäre bei dem Thema aber auch nicht zu erwarten. Und bei dem gewohnt stoisch auftretenden Ryan Gosling ebenso wenig. Und doch hat das Science-Fiction-Werke diverse emotionale Momente auf Lager, positive wie negative, schöne und traurige. Wenn K. beispielsweise eine Beziehung mit der künstlichen Intelligenz Joi (Ana de Armas) anstrebt, dann ist das bei aller Absurdität auch irgendwie ergreifend. Die Sehnsucht nach Identität, sie geht im Jahr 2049 mit der nach einem emotionellen Platz im Leben einher.
Blade Runner 2049 ist daher insgesamt ruhiger als der Vorgänger. Sehr viel ruhiger, als es auch der Trailer impliziert. Aber der erweckte ohnehin einen falschen Eindruck, da Harrison Fords Rückkehr als Rick Deckard sehr viel kleiner ist, als man nach den ersten bewegten Bildern denken könnte. Langweilig ist der Film dennoch nicht, die stolze Länge von über zweieinhalb Stunden merkt man trotz eines geringeren Actionanteils beispielsweise deutlich weniger als in Star Wars: Episode VIII – Die letzten Jedi. Tatsächlich würde man sich manchmal sogar wünschen, der Film wäre noch etwas länger. Manche Nebenhandlungen werden etwas abrupt wieder aufgegeben, die Krimielemente halten sich nicht lange mit tatsächlicher Ermittlungsarbeit auf. So spannend es ist, K. durch die trübe Welt zu folgen, ein paar Umwege wären nicht verkehrt gewesen, vieles hier hat reine Alibifunktion. Das war allerdings seinerzeit auch nicht wirklich anders. Und so ist die Rückkehr in die Zukunft nicht nur deutlich besser als befürchtet, sie entführt uns sogar in eine der sehenswertesten Science-Fiction-Welten, die uns das Kino in den letzten Jahren beschert hat.
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