(OT: „Colossal“, Regie: Nacho Vigalondo, Kanada/USA/Spanien, 2016)
Gloria (Anne Hathaway) ist nicht unbedingt das, was man einen richtigen Gewinner nennt. Da wäre zum Beispiel ihr Hang zum Alkohol, den sie nicht in den Griff bekommt – wie so vieles andere auch. Als sie erst ihren Job verliert und ihr Freund Tim (Dan Stevens) sie dann auch noch aus der Wohnung wirft, bleibt ihr nichts anderes übrig, als wieder in ihre alte Heimat zu ziehen und in der Bar ihres alten Freundes Oscar (Jason Sudeikis) zu arbeiten. Das bietet zwar auch keine echte Perspektive, für den Anfang muss es aber reichen. Zumal sowieso bald ganz andere Themen ihr Leben bestimmen: In Seoul ist ein seltsames Riesenmonster aufgetaucht, was regelmäßig kolossale Schäden anrichtet. Ein Monster, mit dem Gloria eines gemeinsam hat, wie sie mit großem Schrecken feststellt.
Was wäre die Welt nur ohne riesige Monster, die sie plattzumachen drohen? Dass auch im Jahr 2017 die Faszination für solche Ohnmachtsfantasien ausgeprägt ist, das lehrt der Gang in die Kinos. In Kong: Skull Island dürfen wir uns einen altbekannten Gorilla größeren Ausmaßes wiedersehen, Japan schickte die unverwüstliche Riesenechse Shin Godzilla ins Rennen. Während die Welt nun auf den oft verschobenen Nachfolger von Pacific Rim wartet – oder auch nicht –, schiebt sich klammheimlich Colossal in die heimischen DVD-Regale. Auch hier werden schreckliche Giganten die Erde bedrohen. Und doch hat dieser seltsame Film nur wenig mit den üblichen Zerstörungsorgien gemeinsam.
Über alle Grenzen hinweg
Sie hatte mal wieder etwas anderes wollen, heißt es von Anne Hathaways Entscheidung, hier mitspielen zu wollen. Und anders ist so einiges bei Colossal. Regisseur und Drehbuchautor Nacho Vigalondo, sonst eher im Horrorgenre daheim (Open Windows, 22 Ways To Die), bietet einen bunten Mix der unterschiedlichsten Genres. Etwas Horror ist natürlich noch immer dabei, dazu gibt es Science-Fiction und zumindest zum Anfang auch sehr viel zum Lachen. Gerade die Szenen, wenn Gloria ihre Verbindung zu dem hässlichen Ungeheuer entdeckt, sind umwerfend komisch.
Gleichzeitig ist der Beitrag vom Fantasy Filmfest 2017 auch traurig, regelrecht verstörend. Anders als bei den meisten Monsterfilmen steht der Koloss hier gar nicht im Mittelpunkt. Stattdessen dreht sich alles um Gloria, hübsch, nett, ein absolutes Wrack. Längere Zeit könnte man meinen, es hier mit einer der üblichen Verliererkomödien zu tun zu haben: Ein Protagonist, der eigentlich alles haben sollte, hat ein Händchen dafür, alles kaputt zu machen. Warum dem so ist, das interessiert Vigalondo eher weniger, tiefschürfende Charakterzeichnungen sind nicht so seine Stärke. Vielmehr will Colossal einfach Spaß machen und haben, genießt das eigene absurde Szenario, Liebhaber skurriler Geschichten tun es ihm gleich – sofern sie darüber hinwegsehen, dass zahllose Südkoreaner dafür ihr Leben lassen müssen.
Verstörender Zerstörungsakt
Interessant wird es jedoch im letzten Drittel, wenn Vigalondo plötzlich eine komplett andere Richtung einschlägt. Das charmant-bescheuerte Verliererporträt spielt dann nicht nur mit den Abgründen. Es springt mitten hinein, reißt alles auseinander, lässt der eigenen Zerstörungswut freien Lauf. Das ist faszinierend bis schockierend, die Monster werden zu Symbolen von Selbstfindung, Unabhängigkeitsbestrebungen und zwischenmenschlichem Missbrauch. Eine Mischung aus Coming-of-Age-Massaker und Haushaltsdrama. Dieser gewagte Spagat funktioniert zwar nicht bis ins Kleinste – manche Elemente werden unnötig ausgeführt, andere bleiben ohne entsprechende Tiefe, die Frage nach der Nachvollziehbarkeit stellt sich eh nicht. Und doch ist dieser seltsame kleine Film eine Wohltat in dem Meer aus gewöhnlicher Berechnung. Ein Werk, das tatsächlich noch versucht, etwas zu sagen. Allein dafür – und für die ansprechende Leistung von Hathaway – lohnt es sich, ein bisschen Zeit mit diesem etwas anderen Monster zu verbringen.
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