(OT: „Das Leben danach“, Regie: Nicole Weegmann, Deutschland, 2017)
Jahre sind bereits vergangen seit der Tragödie bei der Love Parade, doch Antonia Schneider (Jella Haase) hat diese schlimmen Erfahrungen nie wirklich verarbeitet. Versucht hat sie es, geht auch weiterhin regelmäßig zu einer Selbsthilfegruppe. An ihrer Wut hat dies jedoch nichts geändert. Als sie diese mal wieder an einem Gedenkort für die Opfer auslässt, lernt sie den Taxifahrer Sascha Reinhardt (Carlo Ljubek) kennen. Der verrät sie nicht bei der Polizei, obwohl er genau weiß, dass sie wegen ihres Vandalismus gesucht wird. Stattdessen begleitet er sie zu ihren Treffen, versucht ihr nahezukommen. Seine Behauptung, damals selbst auf der Love Parade gewesen zu sein, durchschaut sie dabei schnell als Lüge. Doch was genau verbindet ihn dann so mit dem Thema?
21 Menschen starben bei der Love Parade am 24. Juli 2010 in Duisburg in Folge einer Massenpanik, mehrere Hundert Menschen wurden schwer verletzt. Seither sind die Verantwortlichen schwer beschäftigt damit, jede Verantwortung auf den nächstbesten zu schieben, ein just gestarteter Prozess soll endlich Klarheit bringen. Gerechtigkeit. Den Betroffenen vielleicht auch die Möglichkeit, endlich Frieden zu finden. Da passt es zeitlich gut, wenn mit Das Leben danach einige Wochen zuvor ein Drama ins Fernsehen kam, das sich ebenfalls mit der Aufarbeitung der schrecklichen Tragödie beschäftigt. Es tut es jedoch auf eine andere Weise, als man im Vorfeld vielleicht erwarten würde.
Und was kommt danach?
Die Frage, wer denn nun Schuld ist an den Toden, die wird hier lediglich am Rande aufgeführt, Das Leben danach hat gar nicht vor, die sehnsüchtig erwarteten Antworten zu geben. Stattdessen richtet das von Nicole Weegmann (Ein Teil von uns) inszenierte Drama den Blick auf die Menschen, die noch da sind. Die, die überlebt haben, aber nicht den Weg zurück in den Alltag finden. Wie sehr Antonia – kurz Toni – noch immer in diesem Tunnel gefangen ist, das zeigt sich immer wieder, in den unterschiedlichsten Situationen. Mal sind es Details, welche ihre Erinnerungen wieder wecken und wir zumindest in Flashbacks doch noch ins Jahr 2010 zurückkehren. Oft aber ist sie es selbst, die dorthin zurückkehrt, alles zerstören will und doch nicht loskommt.
Wie kaputt sie ist, daran lässt der Film keinen Zweifel. Ihr Umfeld weiß es, spricht es ohne große Scheu aus. Sie selbst weiß es. Wie es war, damals dort eingesperrt gewesen zu sein, das wird man als Nichtbeteiligter zwar auch nach Das Leben danach kaum ahnen können. Wie sehr diese Erfahrung sie traumatisiert hat, das lässt sich dafür sehr eindrucksvoll spüren. Jella Haase zeigt hier nach 4 Könige und Looping erneut, dass sie eine herausragende Wahl für angeknackste Figuren ist, sehr viel mehr kann als die krakeelende Chantal aus Fack ju Göhte: Toni ist hin und hergerissen zwischen Wut und Trauer, zwischen Zuneigung und blankem Hass. Die Welt soll büßen für das, was ihr widerfahren ist, selbst wenn sie nicht weiß, wer oder was diese Welt ist. Die rohe Emotionalität ihres selbstzerstörerischen Amoklaufs geht durch Mark und Bein.
Trotz kleiner Schwächen emotional komplex
Das Leben danach überzeugt aber auch in den ruhigen Momenten – den meisten zumindest. Gerade auch, weil Toni Sascha gegenübergestellt wird, der auf seine Weise um die vergangene Katastrophe herumfährt, wird die Komplexität der Geschichte deutlich. Die Grenzen zwischen Opfer und Täter sind nicht so solide, wie man sie gerne hätte. Mitgefühl von seitens des Publikums hat die innerlich zerstörte junge Frau sicher. Das mit der Sympathie ist aber weniger eindeutig, dafür suhlt sie sich zu sehr in ihren hässlichen Gefühlen. Die sind vielleicht nicht immer zu hundert Prozent nachvollziehbar, auch bei Sascha gibt es einige hartnäckige Fragezeichen. Wer die kleineren Schwächen im Drehbuch verzeiht, sieht hier aber einen kraftvollen Film zum Dauerbrenner Schuld und Sühne, der ohne großen Kitsch die eigene Gefühlswelt ziemlich durchschüttelt.
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