(OT: „The Leisure Seeker“, Regie: Paolo Virzì, Frankreich/Italien, 2017)
Das hatte sich Will (Christian McKay) eigentlich etwas anders vorgestellt. Er wollte am Morgen bei seinen Eltern John (Donald Sutherland) und Ella Spencer (Helen Mirren) vorbeikommen, um seinen Vater anschließend in sein neues Heim zu bringen. So war es geplant, so war es abgesprochen. Aber offensichtlich haben die beiden so gar nicht vor, sich an diese Absprache zu halten. Nicht nur, dass die zwei gar nicht da sind, als er ankommt. Sie haben sich auch noch den alten Familiencamper „Leisure Seeker“ geschnappt. Während die zwei heimlich unterwegs nach Key West sind, um das Haus von Ernest Hemingway zu besuchen, versucht Will, zusammen mit seiner Schwester Jane (Janel Moloney) die beiden ausfindig zu machen und vor sich selbst zu beschützen.
So richtig hatte sich Paolo Virzì das nicht vorstellen können, einen Film auf Englisch zu drehen. Angebote hatte er natürlich, gehört er doch zu den aktuell bekannteren und gefeierten Regisseuren Italiens. Die Hemmschwelle war dann aber wohl doch zu groß – bis er auf den Roman „The Leisure Seeker“ von Michael Zadoorian stieß. Und das war ein absoluter Glücksfall für ihn und das Publikum, ebenso dass er für sein internationales Debüt mit Helen Mirren und Donald Sutherland zwei absolute Schauspielgranden gewinnen konnte. Denn gemeinsam gelang ihnen ein sehr Film, der gleichzeitig wunderschön und unfassbar traurig ist. Ein Tipp für die Freunde des gefühlvollen Kinos.
Mehr Gefühl, weniger Biss
Dabei ist Das Leuchten der Erinnerung eigentlich gar nicht so wahnsinnig typisch für den Filmemacher. Die süße Gier – Il Capitale Umano war eine messerscharfe Abrechnung mit kapitalistischen Glücksrittern, auch Die Überglücklichen über zwei ausgebüxte Damen mit psychischen Schwierigkeiten hatte ihre gemeinen Stellen. Dieses Mal macht sich Virzì jedoch über keinen seiner Protagonisten lustig. Er begegnet ihnen stattdessen mit viel Wärme und Zuneigung, zeigt ein Paar, das seit vielen Jahrzehnten zusammen ist und noch eine letzte Reise antreten möchte – so lange es das eben noch kann.
Worum es in dem Film bzw. worum es den beiden Protagonisten eigentlich geht, wohin die Reise führen soll, das behält Das Leuchten der Erinnerung erst einmal für sich. Es ist aber auch gar nicht so wichtig. Der Weg selbst ist, wie so oft, auch bei diesem Roadmovie das Ziel. Eine stringente Handlung kann er deshalb nicht anbieten. Stattdessen: eine Ansammlung mehrerer zufälliger Anekdoten, die sich unterwegs zutragen. Einige davon sind witzig, andere herzerweichend. John leidet schon seit einer Weile an Alzheimer. Wir freuen uns mit Ella über die kleinen Momente des Glücks, wenn er sich an etwas erinnert, leiden mit ihr, wenn der Mann, den sie vor 50 Jahren geheiratet hat, wieder irgendwo in diesem alten, faltigen Körper verlorengeht.
Unterwegs mit zwei großartigen Reisebegleitern
Wirklich viele überraschende Momente sind nicht darunter. Abgesehen von einem durch Virzì eingefügten Verweis auf die sich verändernde politische Landschaft in den USA könnte Das Leuchten der Erinnerung zu jeder beliebigen Zeit spielen. Und doch ist der Film selbst alles andere als beliebig. Vielmehr wird hier die Geschichte einer großen Liebe erzählt, die selbst dann noch Bestand hat, wenn die Menschen selbst im Nichts verschwinden. Die Reise durch die USA, sie ist auch eine Reise durch die Zeit, der Versuch, noch ein letztes Mal Teil von dieser Welt zu sein. Ein Teil voneinander zu sein. Das ist nicht spektakulär, insgesamt vielleicht auch ein wenig zu lang. Und doch macht es einen unglaublichen Spaß, den beiden Veteranen während ihres Trips Gesellschaft zu leisten, mit ihnen Pfade der Erinnerung zu beschreiten oder zumindest zu suchen. Zerbrechlich im einen Moment, sarkastisch im nächsten, mal voller Selbstzweifel, dann wieder vor Kraft strotzend – Das Leuchten der Erinnerung führt uns die Sonnen- und Schattenseiten des Lebens vors Auge. Zeigt uns, was in guten wie in schlechten Tagen wirklich bedeutet.
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