(OT: „The Harvest“, Regie: John McNaughton, USA, 2013)
Das Leben meint es nicht sehr gut mit Maryann (Natasha Calis). Da wird sie nicht nur auf einen Schlag Waise und muss fortan bei ihren Großeltern mitten im Nirgendwo leben. Sie darf zudem keine Freunde haben. Zumindest nicht den einen. Andy (Charlie Tahan) heißt er, leidet an einer schweren Krankheit und darf deshalb das Haus nicht verlassen. Maryann mag diesen Jungen im Rollstuhl, so wie er auch sie mag. Andys Eltern Katherine (Samantha Morton) und Richard (Michael Shannon) scheinen sie aber nicht zu mögen. Welchen Grund sollten sie sonst haben, ihr den Besuch zu verbieten und sie immer wieder aus dem Haus zu werfen, sobald sie sich hineingeschlichen hat?
John McNaughton? Das ist ein Name, den man schon länger nicht mehr in den Credits zu lesen bekommen hat. Zumindest in denen von Filmen. In den 90ern hat er noch den einen oder anderen Streifen inszeniert, von dem man gehört haben dürfte, beispielsweise dem Erotik-Thriller Wild Things. Seit der Jahrtausendwende wollte ihm aber wohl niemand mehr Geld für einen „richtigen“ Film in die Hand geben. Stattdessen kam er mit einer Reihe von TV-Produktionen über die Runden, bevor er endgültig von der Bildfläche verschwand. Haus des Zorns sollte vermutlich sein Comeback sein. Doch obwohl er mit Michael Shannon (Nocturnal Animals, Man of Steel) ein ziemliches Schwergewicht im Castingboxring präsentierte, ging der Thriller gnadenlos unter. In Deutschland dauerte es dann auch einige Jahre, bis wir ihn sehen durften. Und das dann auch nur im Heimkino.
Einblick in eine kaputte Familie
Ein wirklich großer Verlust wäre es aber nicht gewesen, wäre das Haus im Filmnirwana geblieben. Dabei fängt es eigentlich vielversprechend an. Von Anfang an fährt Haus des Zorns gewissermaßen zweigleisig. Da wäre zum einen der Dramateil. Die Hintergrundgeschichte von Maryann wird ein bisschen schnell abgefertigt, ist meistens auch nur ein Mittel zum Zweck: Sie ist neu und auf der Suche nach Freunden. Warum sie ausgerechnet an Andy von Anfang an so einen Narren gefressen hat, das bleibt jedoch ein Rätsel. Dafür wird die Figur von Calis (Possession – Das Dunkle in Dir) mit so viel mitreißender Lebendigkeit gespielt, dass man darüber hinwegsehen kann.
Der mit Abstand spannendste Teil betrifft jedoch Familie Young. Andys Krankheit wird zwar nie wirklich in Worte gefasst, funktioniert dafür aber als ständiger Reibepunkt. Interessant ist, dass Katherine die Hosen anhat, als ausgebildete Ärztin kontinuierlich auf andere herabblickt. Ihren Mann eingeschlossen, denn der war nur Krankenpfleger. Inzwischen ist er nicht einmal das, wurde von ihr zu einem Aufpasser des Sohnes degradiert. Da auch bei der Freundschaft von Andy und Maryann die Frau die Hosen anhat, wird Haus des Zorns so zu einer Umkehrung der überlieferten Regel, dass Frauen nur als Anhang in einem Film von Bedeutung sind. Gutmütig, ein bisschen phlegmatisch sind die Männer hier, stehen unter der Fuchtel der willensstarken Frauen. Dass bei den Youngs vor allem Katherine etwas gegen die jugendliche Besucherin einzuwenden hat, das verwundert nicht wirklich – trotz diverser wenig plausibler Zwischenfälle.
Ohne jegliches Gespür
Die werden mit der Zeit leider immer zahlreicher. Während Haus des Zorns als Familiendrama voller Anspielungen auf häusliche Gewalt über längere Strecken fesselt, funktioniert das mit dem Thrillerteil sehr viel weniger. Von Anfang an trägt McNaughton hier ein bisschen sehr dick auf: Begleitet von einer theatralischen Musik will der Film so gar keinen Zweifel daran lassen, dass da etwas Finsteres vor sich geht. Dieser Eindruck bewahrheitet sich später, sogar auf eine etwas überraschende Weise. Aber auch auf eine ziemlich plumpe Weise. Die ruhigeren Tendenzen werden nun endgültig in die Tonne getreten. Schlimmer aber noch ist, wie dämlich der Film dann wird. Nichts ergibt mehr wirklich Sinn, weder Handlung, noch Figuren, bei dem Versuch, zu einem wendungsreichen Höhepunkt zu kommen, schießt Haus des Zorns völlig über das Ziel hinaus. Als Satire hätte das noch funktioniert, nicht aber in dieser ernstgemeinten Form: Der Kontrast zwischen dem todernsten Anspruch und dem lächerlichen Ergebnis ist so groß, dass man gar nicht mehr weiß, ob man darüber nun lachen oder selbst zornig sein soll.
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