(OT: „La mélodie”, Regie: Rachid Hami, Frankreich, 2017)
Für gewöhnlich spielt der ausgebildete Geiger Simon Daoud (Kad Merad) vor herausgeputzter Klientel, die seine gespielten Musikstücke mit Wehmut und Faszination verfolgen. In seinem neuen Job als Musiklehrer einer Pariser Schule muss er sich nun mit dem absoluten Gegenteil auseinandersetzen. Die Schüler sind aufmüpfig, faul und uninspiriert; seine herrische Unterrichtsweise verschlimmert den Zustand nur; doch manchmal schaut das Unerwartete plötzlich durchs Fenster rein. Der zurückhaltende Arnold (Alfred Renely) beobachtet die musikalischen Gehversuche seiner Freunde aus der Ferne, würde aber am liebsten selbst zur Geige greifen. Er bekommt eine Chance und stellt die Klassendynamik binnen kürzester Zeit auf den Kopf. Aus den talentlosen Taugenichtsen werden über die folgenden Wochen hinweg leidenschaftliche Musiker, die ihr Können in der Philharmonie unter Beweis stellen sollen. Kurz vor ihrem Auftritt erhält Simon jedoch das Angebot, wieder Teil eines professionellen Quartetts zu sein. Sein einstiger Traum scheint endlich wahr zu werden – wären da nicht die Kinder.
Mit fast 50 Jahren auf dem Buckel hat sich Simon sein Leben sicherlich anders vorgestellt. Von einem Konzert zum nächsten, während er die Welt bereist und ihm die Leute zu Füßen liegen. Die Realität sieht anders aus. Anstatt sich auf seine Karriere zu konzentrieren, spielt er Kindergärtner und muss dabei „Ja“ und „Amen“ sagen. Obendrein kommt ihm seine disziplinarische Art, mit der er schon einst seine Tochter der Geige überdrüssig machte, erneut in die Quere. Eigentlich sollte es nur als Übergangssituation fungieren, um seine Rechnungen bezahlen zu können. Ein nervenaufreibender Zwischenstopp zum nächsten Karrieresprung. Am Ende verändert es sein ganzes Leben. „Der Aufstieg der Underdogs“ oder „Eine musikalische Neuerfindung“. Die möglichen Headlines von Print und Online Medien klingeln bereits in den Ohren. Ein Coach Carter der Musikwelt? Ein familienfreundliches Whiplash?
Wer hilft hier eigentlich wem?
Der Film befeuert alle zu erwartenden Genrepunkte, die zunächst besonders an die amerikanischen Vertreter erinnern. Eine heruntergekommene Schule; respektlose Schüler, die mit mehr Fäkalwörtern um sich schmeißen, als der örtliche Duden erlaubt; und eine mühsame Reise zum Erfolg. Allerdings sticht Simon heraus: Strotzen Trainer und Lehrer solcher Filme für gewöhnlich mit Lebensphilosophien sowie einem selbstbewussten Auftreten, ist er genauso verloren wie seine Schüler, wenn nicht sogar mehr. Nicht ohne Grund muss er sich eine andere Arbeit suchen, nicht ohne Grund muss er sich das Vertrauen seiner Tochter neu erarbeiten und nicht ohne Grund lässt er seine Wut an den Schülern aus, die all das repräsentieren, was ihn vom musikalischen Erfolg abhält – Ignoranz. Ein leitender Schäfer, der die verirrten Schäfchen auf den sicheren Weg führt, fehlt also. Stattdessen arbeiten sie gemeinsam am Fortschritt. Aus Einzelkämpfern werden Mitglieder eines Teams, das außerhalb der Schule gemeinsam lernt und neuen Herausforderungen die Stirn bietet. Sogar die Eltern unterstützen das Musikprojekt, als die Musikräume der Schule durch einen Brand zerstört werden. Alles lässt auf eine klassische Underdog-Story mit tränenreichem Happy End schließen.
Vereinzelt falsche Töne
Etwas utopisch, aber nichtsdestotrotz unterhaltsam. Vorhersehbar, aber irgendwie nett. Wenig originell, aber guck doch mal die Kinder, wie sie spielen und reifen. Arnold, der über den Dächern der Stadt vom kratzenden Amateur zum harmonischen Solist heranwächst. Simon, der seine Freude für die Musik neu entdeckt. Alles vereint in einer finalen Performance in der Philharmonie. So ganz wollte sich Regisseur Rachid Hami (Choisir d’aimer) nicht mit einer blütenreinen Filmweste zufriedengeben und versucht dem Film eine partielle Schärfe einzuverleiben, deren es nicht bedurft hätte. Immer wieder sorgen minutenlange Dialoge der Kinder, in denen sie sich die meiste Zeit über wahllos beleidigen, für Stirnrunzeln, nur um später völlig unbeachtet zu bleiben. Auch Simons große Entscheidung wird gleich mehrfach geändert. Eine fragwürdige Inkonsistenz in einem ansonsten sympathischen Drama.
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