(OT: „De kinderen van juf Kiet“, Regie: Peter Lataster/Petra Lataster-Czisch, Niderlande, 2016)
Dokumentarfilme über Schulen sind ja immer so eine Sache. So manch einer dürfte froh sein, dass die eigene Schulzeit vorbei ist und man nicht weiter über sie nachdenken muss. Warum sollte ich dann den Alltag völlig fremder Schüler sehen wollen? Umso mehr, wenn diese wie in Miss Kiet’s Children auch noch im Ausland sind, genaugenommen in einer winzigen Schule in einem kleinen niederländischen Dorf. Da fällt es erst einmal schwer, einen Bezug zu erkennen. Und doch haben die Regie- wie Ehepartner Peter Lataster und Petra Lataster-Czisch bei ihrer neuesten Zusammenarbeit eine ganze Menge zu zeigen. Eine ganze Menge zu sagen. Obwohl sie selbst fast nichts sagen.
Zur Kontextbildung erheben sie lediglich anfangs das Wort. Die Besonderheit von Miss Kiets besagter Klasse ist, dass sie sich aus Flüchtlingskindern zusammensetzt. Irak und Syrien sind stark vertreten. Menschen, die in ihrer Heimat keine Heimat mehr sahen und nun in Europa ein neues Leben erhoffen. Wie sensibel dieses Thema noch immer ist, haben zuletzt wieder die Schachereien bei der Suche nach einer Bundesregierung gezeigt. Vor allem der Familiennachzug entzweit die Parteien, führt auch zu allerhand unschöner Kommentare im Netz.
Integration fängt früh an
In Miss Kiet’s Children spielt das aber alles keine Rolle. Die Doku setzt sich nicht mit dem Thema Flüchtlinge auseinander, blendet gesellschaftspolitische Überlegungen komplett aus. Die titelgebende Lehrerin interessiert sich nicht für die Frage, ob noch mehr Menschen kommen sollten oder nicht, zumindest nicht innerhalb des Films. Sie interessiert hier in erster Linie, wie sie den Menschen, die schon da sind, hilft, Teil der Gesellschaft zu werden. Integration von Ausländern fängt mit dem Erlernen der Sprache an. Sie fängt bei den Kindern an.
Kiet Engels lässt hier auch nicht wirklich mit sich reden. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase wird ausschließlich auf Niederländisch gesprochen. Ob es nun um das Erlernen der Sprache geht, Mathematik oder auch Punkte des allgemeinen Zusammenlebens, all das findet auf Niederländisch statt. Einfach ist das nicht, da werden manchmal Dolmetscher aus den eigenen Kinderreihen gebraucht. Ein wirkliches Problem ist das nicht, denn das fördert die Solidarität untereinander. Und Hilfsbereitschaft ist ein ebenso wichtiges Gut wie Selbständigkeit, wie wir hier vor Augen geführt bekommen. Eine von vielen wertvollen Erkenntnissen, die wir aus dem Unterricht mitnehmen.
Zwischen Alltag und Trauma
Bemerkenswert ist dabei, wie unmittelbar das alles ist, wie natürlich die einzelnen Punkte miteinander verknüpft werden. Das Regieduo nimmt sich selbst völlig raus, kommentiert nicht, fragt nicht. Es kommen keine Pädagogen oder Integrationsexperten zu Wort, nicht einmal Miss Kiet selbst wird interviewt. Stattdessen sehen wir vor Ort, wie eine Gruppe von Kindern langsam ein neues Zuhause findet. Da sind Szenen des Alltags dabei, eine Hose, die beim Hinfallen schmutzig geworden ist. Und Szenen, die nahegehen: Jorj hat regelmäßig Schwierigkeiten beim Schlafen, weil er noch immer die Explosionen aus seinem fernen Heimatland hört. Die Lehrerin nimmt beides an, ist unnachgiebig in ihren Überzeugungen, aber eben auch einfühlsam, wenn es darauf ankommt. Miss Kiet’s Children ist deswegen dann auch gar nicht so sehr eine Doku über eine Schule. Wenn wir hier die Kinder über Monate begleiten, Zeugen kleiner Erfolge und auch von Rückschlägen werden, dann geht das nicht nur zu Herzen – gerade im Kontext der rechten Strömungen in den Niederlanden. Auch Erwachsene lernen hier tatsächlich noch ein bisschen was über bzw. für das Leben.
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