(OT: „The Killing of a Sacred Deer“, Regie: Yórgos Lánthimos, UK/Irland, 2017)
Eigentlich ist es ein ziemliches Traumleben, welches Steven (Colin Farrell) da führt. Er ist ein erfolgreicher Chirurg, mit der schönen Augenärztin Anna (Nicole Kidman) verheiratet, lebt mit den Kindern Bob (Sunny Suljic) und Kim (Raffey Cassidy) in einem schicken Haus. Wäre da nur nicht Martin (Barry Keoghan). Seit dem Tod seines Vaters hat der 16-Jährige Freundschaft mit Steven geschlossen, regelmäßig treffen die beiden sich in einem Diner, plaudern, gehen spazieren. Das allein reicht dem Jugendlichen jedoch nicht. Vielmehr verfolgt er einen geheimen Plan, der das Leben der Bilderbuchfamilie bald völlig durcheinanderwirbeln wird.
Kaum ein Regisseur hat in den letzten Jahren wohl vergleichbar konstant seltsame Filme abgeliefert wie Yórgos Lánthimos. Und kaum einer hat damit international vergleichbar viel Aufsehen erlangt. Nachdem seine ersten Werke noch allein in seiner Heimat Griechenland entstanden waren, stehen jetzt auch Hollywoodstars Schlange, um gemeinsam mit ihm in seltsame Welten abzutauchen, in denen vieles nicht das ist, was es vorgibt zu sein. Ganz so verschroben wie die Vorgänger ist The Killing of a Sacred Deer zwar nicht, die Geschichte ist vergleichsweise gewöhnlich. Vom Mainstream ist der nunmehr sechste Spielfilm von Lánthimos aber weiterhin weit entfernt.
Hier stimmt was nicht! Aber was?
Von Anfang hat man hier als Zuschauer das Gefühl, dass da etwas nicht mit rechten Dingen vor sich geht. Die Dialoge schwanken zwischen banal und sehr persönlich, ohne dass die Wechsel nachvollziehbar wären. Da werden über intime und sehr emotionale Themen gesprochen, während die Figuren selbst keine Emotionen zeigen. Das ist hier jedoch nicht – wie man es bei der Konkurrenz manchmal sieht – auf mangelndes Talent oder Desinteresse zurückzuführen. Vielmehr sind die Gespräche nur ein Mosaik von vielen, die ein Bild ergeben, von dem man instinktiv spürt, dass es nicht stimmt. Man weiß nur nicht wieso.
Dieses Befremdliche sind wir von Lánthimos natürlich gewohnt. Und doch geht The Killing of a Sacred Deer in eine etwas andere Richtung als die Vorgänger. Wo Alpen das Surreale noch mit Melancholie verband, bei The Lobster – Eine unkonventionelle Liebesgeschichte sich Komik einmischte, da erwartet uns dieses Mal das Grauen. Die eigenartigen Perspektiven und Kamerafahrten, der Einsatz von unheimlicher Musik: Der Film stöbert schon in der Horrorschublade herum, noch bevor wir eigentlich wissen, was gespielt wird. Und er weigert sich diese auch wieder zu verlassen, nachdem Martin die Karten auf den Tisch legt. Aber auch wenn Vergleiche zu früheren Genregrößen naheliegend sind, gerade Shining sich anbietet, sie geben doch nur zum Teil wieder, was sich hier abspielt.
Träge, tragisch, komisch
Ein Albtraum ist es, den Lánthimos da seinen Protagonisten zumutet. Eine Tragödie griechischen Ausmaßes. Der Film weidet sich aber nicht an dem Unglück der Menschen. Dafür bleibt er auch während des Dramas zu eigensinnig, zu losgelöst von dem, was wir gemeinhin von Menschen erwarten. Gemein ist The Killing of a Sacred Deer natürlich trotzdem. Und auch irgendwie komisch. Ob es das Sexualverhalten der Charaktere ist, die erwähnten Dialoge, später die Versuche der Familienmitglieder, die Katastrophe aufzuhalten oder umzulenken – da gibt es genügend Momente, in denen man lachen möchte. Und sei es nur, weil man so gar nicht weiß, was die angemessene Reaktion wäre. Ob es hier überhaupt ein angemessen gibt. Das wird nicht vielen gefallen, neben der Seltsamkeit fordert auch das sehr gemächliche Tempo einiges ab. Umgekehrt wird mancher Fan der vorangegangenen Filme bedauern, dass die Grundgeschichte sehr viel weniger skurril ist. Aber so ist der griechische Ausnahmeregisseur nun mal: Immer wenn man meint, sich auf ihn eingestellt zu haben, macht er wieder etwas komplett anderes.
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