(OT: „Polednice“, Regie: Jiri Sadek, Tschechien, 2016)
Während eines ungewöhnlich heißen Sommers ziehen die junge Witwe Eliska (Anna Geislerová) und ihre Tochter Anetka (Karolína Lipowská) in das Dorf, in dem ihr auf mysteriöse Weise verstorbener Ehemann aufgewachsen ist. Die Dorfbewohner zeigen sich freundlich und hilfsbereit und die Mutter hofft auf einen Neubeginn für sich und ihre Tochter. Doch bald setzen die Hitze, das fehlende Wasser, die Merkwürdigkeiten, Geheimnisse und unangenehmen Annäherungsversuche der Dorfbewohner und die Herausforderung des Daseins als alleinerziehende Mutter Eliska mehr und mehr zu. Außerdem treibt die Absenz des Vaters, über dessen Schicksal die Tochter nie aufgeklärt wurde und die sehnsüchtig auf die Rückkehr ihres Vaters wartet, einen Keil zwischen Mutter und Tochter. Gleichzeitig geht die Geschichte der kinderstehlenden “polednice” (Noonday Witch) um, die unter den unglücklichen Umständen bald zur Wirklichkeit werden kann.
Hitzeflimmernde Atmosphäre
Der tschechische Regisseur Jiri Sadek greift in seinem Debütfilm auf ein altes, tschechisches Märchen zurück. Die Geschichte um die “polednice” basiert auf einem Gedicht des Poeten Jaromir Erben aus dem 19. Jahrhundert. Doch als Kenner des Genres kann man auch die Ähnlichkeiten mit dem vermutlich großen Vorbild Der Babadook aus dem Jahr 2015 nicht übersehen: eine alleinstehende Mutter muss sich ihren eigenen Traumata stellen und gleichzeitig ihr Kind vor einem unbekannten Übel beschützen. Dabei tut sich auch in The Noonday Witch die Frage auf, ob die übernatürliche und bösartige Macht tatsächlich existiert oder das mentale Wohlbefinden der Mutter dem andauernden Stress nicht standhalten kann und sich in Hirngespinsten verläuft. Diese Verschwommenheit zwischen Realität und Einbildung ist in The Noonday Witch mit verschiedenen Mitteln deutlich gemacht und überaus gelungen. Die unausgesprochenen Wahrheiten der Mutter wie auch der Dorfbewohner sorgen für eine unangenehme und beklemmende Stimmung.
Ein essenzielles Element ist die allgegenwärtige Hitze, die die Atmosphäre des Films bestimmt. Expressionistische Farbkorrektur und großartige Bilder von unendlichen, in der unerbittlichen Sonne gleißenden Kornfeldern lassen den Zuschauer die Trockenheit und Hitze beinahe auf der eigenen Haut spüren und wenn man im Beitrag des Filmfests Braunschweig das Klirren des gläsernen Wasserkrugs hört, fühlt man sich selbst nach einer eiskalten Erfrischung.
Längen und Schwaches Ende
Auch wenn man sich für eine Zeit lang mit der dichten Atmosphäre begnügen kann, wird man als Zuschauer vom Handlungsstrang nicht richtig mitgenommen und es stellen sich mehr Fragen, als Antworten gegeben werden. Warum öffnet sich die Mutter ihrer Tochter nicht? Was ist wirklich mit dem Vater passiert? Sind die Dorfbewohner freundlich oder schlecht gesinnt? Zudem nehmen sowohl die visuellen Effekte als auch die Story im zweiten Drittel des Films leider stark ab. Die Schockmomente und Gruselelemente, wie zum Beispiel der Look der Hexe, sind zu schwach geraten. Ein paar Mal erschreckt man sich vor der verlotterten, herumstreunenden Frau des Bürgermeisters, aber mehr wird an Grusel leider nicht geboten.
Wenn man den Film nur aus psychologischer Sicht betrachtet und den Spannungsbogen in der Überforderung der Mutter sieht, kann man sicher mehr gewinnen, als wenn man sich auf einen klassischen Horrorfilm freut. Allerdings fällt auch dann das Ende enttäuschend aus. Denn leider gibt es keine Auflösung oder Erklärung in diesem Sinne. Auch die Geheimnistuerei der Mutter wird nie befriedigend begründet. Damit bleibt die Handlung in The Noonday Witch leider zu vage und lässt zu viel losen Interpretationsraum offen. Hätte sich der Film ein klein wenig mehr in eine Richtung orientiert, ein bisschen dicker aufgetragen, ein paar mehr Extreme gewagt, hätte mit Sicherheit ein sehr gutes Psychodrama mit viel Diskussionsstoff entstehen können.
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