(OT: „The Witness for the Prosecution“, Regie: Julian Jarrold, UK, 2016)
Es war ein furchtbares Verbrechen: Jemand hat die wohlhabende Witwe Emily French (Kim Cattrall) ermordet. Die Indizien sprechen eindeutig für Leonard Vole (Billy Howle), ihren jungen Liebhaber. Nicht nur, dass er kürzlich zum Alleinerben von French ernannt wurde. Deren Haushälterin Janet McIntyre (Monica Dolan) hat zudem gesehen, wie er zur Tatzeit aus dem Haus ging. Ein kniffliger Fall für John Mayhew (Toby Jones). Aber auch einer, der sich für den nicht gerade vom Erfolg verwöhnten Anwalt rentieren könnte. Tatsächlich gibt es bald einen Lichtblick, wie der junge Mann vielleicht doch noch vor dem Galgen bewahrt werden kann: Romaine Heilger (Andrea Riseborough). Die Partnerin von Leonard behauptet felsenfest, dass er die ganze Nacht über bei ihr war. Doch als sie als Zeugin vor Gericht aussagt, erleben alle Beteiligten eine große Überraschung.
Billy Wilders Zeugin der Anklage aus dem Jahr 1957 gehört sicherlich zu den bekanntesten und besten Filmen, die auf dem reichen Fundus der Queen of Crime Agatha Christie basieren, wurde gar für sechs Oscars nominiert. Und das obwohl hier keiner der üblichen Verdächtigen (Hercule Poirot, Miss Marple) ermitteln. Anders als Zehn kleine Negerlein – Das letzte Wochenende konnte sich der Film nicht einmal mit einer berühmten Buchvorlage rühmen. Die zugrundeliegende Kurzgeschichte aus dem Jahr 1925 hatten nur wenige zur Kenntnis genommen. Erst als Christie, unzufrieden mit dem Werk, dieses 1953 erweiterte und zu einem Theaterstück umfunktionierte, erlangte es die Aufmerksamkeit von Hollywood.
Zurück zu den Ursprüngen
Nun sind Neuauflagen von Klassikern immer so eine Sache. Auch bei Mord im Orient-Express war die Skepsis zuvor groß gewesen, ob es da wirklich eine Neuverfilmung gebraucht hätte. Hier ist die Sachlage jedoch ein klein wenig anders. Anstatt sich an dem Stück bzw. der berühmten Kinoversion zu orientieren, kehren Regisseur Julian Jarrold (A Royal Night Out – 2 Prinzessinnen, 1 Nacht, Der große Eisenbahnraub 1963) und Drehbuchautorin Sarah Phelps zur ersten Version zurück, der von Christie später verworfenen Kurzgeschichte. Reicht das als Grund aus?
Der grundsätzliche Plot ist dabei natürlich gleich geblieben. Noch immer wird ein junger Mann angeklagt, eine reiche, ältere Witwe ermordet zu haben. Noch immer tritt dessen Frau als Zeugin auf und sorgt dabei für jede Menge überraschter Gesichter. Selbst die Auflösung wurde beibehalten, weshalb Kenner der vorherigen Versionen natürlich längst wissen, was gespielt wird. Wer sich nicht dazu zählt, darf sich auf die üblichen überraschenden Wendungen freuen, für die Christie bekannt war. Ganz so verwinkelt – oder überkonstruiert – wie einige ihrer Romane ist Zeugin der Anklage nicht, dafür ist die Zahl der Charaktere auch zu klein. Die Idee hinter dem Fall ist dafür bis heute ausgesprochen clever.
Aus Spaß wird Ernst
Die Neuauflage betont dabei jedoch die düsteren Tendenzen in der Geschichte. Comic Relief, wie es ihn noch 1957 gab, fehlt hier völlig. Zeugin der Anklage verstärkt dafür den Dramateil, wird zum Ende hin sogar geradezu perfide. Einiges davon fand sich bereits bei Christie, anderes hat Phelps hinzugefügt. Nicht jede Erweiterung ist dabei jedoch glücklich. An einigen Stellen wird jetzt zu dick aufgetragen, betont noch von der dramatisch-aufdringlichen Musik. Vor allem wird die simple Handlung dadurch extrem in die Länge gezogen. Der eigentliche Krimi gerät zwischenzeitlich fast völlig in Vergessenheit, der Film interessiert sich mehr für die Vorgeschichte des Paares und auch das Umfeld von Mayhew. Manches ist am Ende überflüssig. Zum Teil verstärken diese Rundblicke jedoch die düstere Stimmung, umso mehr, da Christie selbst nie viel Sinn für Figurenzeichnung hatte.
Glücklicherweise wurde hierzu auch eine Reihe bewährter Schauspieltalente gefunden. Toby Jones (Berberian Sound Studio) hat als erfolgloser und bedrückter Anwalt einige gute Momente. Vor allem aber Riseborough (Oblivion) begeistert als undurchsichtige Ehefrau durch ihre Vielseitigkeit. An der Ausstattung gibt es ohnehin nichts auszusetzen, Zeugin der Anklage bietet einiges fürs Auge, in besten Sepia-Tönen. An die Klasse von Wilders Version kommt diese zwar trotz allem nicht heran. Wer aber gerne wieder einen etwas altmodischen Krimi sehen möchte, der ist hier an einer adäquaten Adresse gelandet. Aufgrund der verstärkt düsteren Ausrichtung dürfen aber auch Christie-Puristen einmal vorbeischauen, um so der Urfassung etwas näher zu kommen.
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