Call Me By Your Name
© Sony Pictures

Call Me by Your Name

„Call Me by Your Name“, USA, 2017
Regie: Luca Guadagnino; Drehbuch: James Ivory; Vorlage: André Aciman; Musik: Sufjan Stevens
Darsteller: Armie Hammer, Timothée Chalamet, Michael Stuhlbarg, Amira Casar, Esther Garrel

Call Me By Your Name
„Call Me by Your Name“ läuft ab 1. März 2018 im Kino

Er liest viel, transkribiert Musik, spielt sie auch, geht zum Schwimmen. So wie es der nunmehr 17-jährige Elio (Thimotée Chalamet) immer tut, wenn er den Sommer mit seiner Familie in einer Villa in Norditalien verbringt. Doch dieses Jahr soll alles anders werden. Sein Vater (Michael Stuhlbarg), ein emeritierter Professor, hat den Sommer über Oliver (Armie Hammer) zu sich eingeladen, um ihm bei der Arbeit mit antiken Statuen zur Hand zu gehen. Für Elio bedeutet das erst einmal sehr gemischte Gefühle. Auf der einen Seite ist er froh über die Ankunft des selbstbewussten, gutaussehenden Neuankömmlings. Gleichzeitig ärgert er sich über dessen Auftreten. Je mehr Zeit Elio mit ihm verbringt, umso mehr muss er sich jedoch eingestehen, dass da vielleicht noch ganz andere Gefühle dahinterstecken.

Neun Filme sind es dieses Jahr, die bei den Oscars um die Trophäe als bester Film des Jahres wetteifern. Sieben davon konnten schon im Vorfeld mit großen Namen die Aufmerksamkeit an sich ziehen, entweder vor oder hinter der Kamera, manchmal auch mit beidem. Get Out wiederum war ein absoluter Kassenschlager, traf mit seiner Mischung aus Rassensatire und Horror den Nerv des Publikums. Bleibt noch Call Me by Your Name, der vielen erst einmal gar nichts sagen dürfte. Der mit Armie Hammer nur einen, nicht einmal übermäßig großen Hollywoodschauspieler im Kader hat. Und nicht er ist als bester Schauspieler des Jahres nominiert, sondern sein junger Nachwuchskollege Timothée Chalamet. Damit setzt das kleine, aber feine Drama seinen Award Season Lauf fort, das bei den meisten Filmpreisen zumindest nominiert war. Dass sich der Film am Ende durchsetzt, ein zweites Moonlight wird, ist zwar nahezu ausgeschlossen. Und doch ist die Nominierung mehr als gerechtfertigt, die Geschichte um eine junge Liebe einer der besten, der schönsten und der bewegendsten Filme der vergangen zwölf Monate.

Die Geschichte einer langsamen und holprigen Annäherung
Dabei lässt sich Regisseur Luca Guadagnino (A Bigger Splash) sehr viel Zeit dabei, seine Adaption von André Acimans gleichnamigen Roman zu erzählen. So viel Zeit, dass man als Zuschauer zuerst gar nicht bemerkt, dass es hier um eine Romanze zwischen Elio und Oliver gehen soll. Das liegt auch daran, dass beide ihre Augen gerne aufs andere Geschlecht werfen. Elio knutscht mit seiner Freundin Marcia (Esther Garrel) herum, sein einige Jahre älterer Kompagnon kann ebenfalls Zunge und Hände nicht ganz bei sich behalten, wenn ein hübsches Mädchen in seiner Nähe auftaucht. Und überhaupt spielen Liebe oder gar Sex in dem Haushalt keine besonders große Rolle, in der vor allem über Kultur gesprochen wird, abwechselnd in Englisch, Italienisch und Französisch.

Diesem hermetisch abgeschlossenen, fast schon übertrieben intellektuellen Haushalt setzt Guadagnino aber auch eine sehr sinnliche Erfahrungswelt da draußen entgegen. Das Spiel mit Licht und Schatten, das Plätschern des Wassers, das satte Grün der Bäume, auch die kleinen Städtchen, die unterwegs immer mal wieder besucht werden – Call Me by Your Name würde an vielen Stellen als Imagefilm durchgehen, der die Lust auf den nächsten Italienurlaub wecken soll. Was er auch tut, erfolgreich. Ein verträumter Flecken Erde, irgendwie losgelöst von der Welt, losgelöst von der Zeit auch. Das Setting 1983 nutzt der Film in erster Linie für Ausstattung und Soundtrack. Und natürlich auch ein bisschen, um die Beziehung zwischen Elio und Oliver noch ein wenig schwieriger zu machen.

Wo die Liebe hinfällt
Dabei ist Call Me by Your Name kein Film über Homosexualität als solche. Man muss nicht schwul sein oder männlich, muss auch nicht aus einem Gelehrtenhaushalt wie Elio kommen, um ihn zu verstehen. Um nachvollziehen zu können, was da in ihm vorgeht. Das, von dem er selbst gar nicht so genau sagen kann, was es eigentlich ist. Es ist ein Drama, das vom Suchen handelt, vom Zweifeln, vom Begehren und vom Leiden. Davon, wie schön es sein kann, in der Sonne zu liegen, neben dem Menschen, dem man liebt. Davon, wie furchtbar schmerzhaft es ist, wenn dieser Mensch nicht da ist oder einen nicht wahrnimmt.

Dafür braucht es keine großen Worte. Wer diese braucht oder auch Handlung, der ist in diesem eher impressionistischen Wunderland falsch abgebogen. Hier heißt es sich zurücklehnen, alles auf sich einwirken lassen. Die Sonne und das Wasser, den Wind und die Aprikosenbäume. Die vielen wundervollen und wundervoll gespielten Szenen, in denen nichts gesagt wird und dabei sehr viel gesagt wird. Ob das Tempo des Films immer klug gewählt ist, darüber ließe sich streiten. Auch über einen etwas ausufernden Dialog zum Ende hin, der – anders als der Rest des Films – ein bisschen zu sehr erklären will. Denn das braucht es gar nicht. Es reicht hier genauer hinzuschauen, Elios Blicken zu folgen, die Körpersprache der beiden Hauptdarsteller zu beobachten. Call Me by Your Name erinnert uns daran, wie schwierig es ist, einen Platz in dieser Welt zu finden. Dass alles theoretische Wissen nichts bringt, wenn Herz und Hormone sich zu Wort melden. Er erinnert uns daran, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, zu sehen, hören, riechen, schmecken und zu fühlen. Zu lachen und zu lieben, sich zu fürchten und bitterlich zu weinen. Daran, was es heißt zu leben.



(Anzeige)

„Call Me by Your Name“ ist ein Film, der uns in eine von Raum und Zeit losgelöste Wunderwelt mitnimmt. Der uns gleichzeitig daran erinnert, was es heißt, im hier und jetzt zu sehen, zu empfinden, wahrzunehmen, zu fühlen und zu leiden. Dafür braucht es nicht viel Handlung oder Worte, das impressionistische Drama nutzt lediglich die Kraft der Bilder, um eine der schönsten Liebesgeschichten der letzten Jahre zu erzählen.
9
von 10