„Final Portrait“, UK, 2017
Regie: Stanley Tucci; Drehbuch: Stanley Tucci; Musik: Evan Lurie
Darsteller: Geoffrey Rush, Armie Hammer, Clémence Poésy
Paris 1964: Der international bekannte und exzentrische Künstler Alberto Giacometti (Geoffrey Rush) lädt seinen alten amerikanischen Freund und Autor James Lord (Armie Hammer) in sein Hinterhof-Studio ein, um ihn zu porträtieren. Er verspricht, dass dieses Vorhaben nicht länger als ein paar Tage dauern wird. Lord fühlt sich geschmeichelt, doch als eine Sitzung nach der anderen ohne großen Fortschritt vergeht und sich Tage in Wochen verwandeln, stellt er fest, dass sein Leben komplett und unbemerkt von dem launischen Maler eingenommen wurde. Das Porträt wird immer wieder übermalt und neu begonnen, je nach Stimmung Giacomettis. Lord, der zwischen Frustration und Faszination schwebt, erkennt schließlich ein Muster im chaotischen Geist des Genies, wodurch es ihm gelingt, Giacometti zur Vollendung eines seiner letzten Meisterwerke zu bringen.
Zeitlosigkeit, Rhythmus, Authentizität
Filmbiographien können manchmal zäh und schwer verdaulich sein, wenn beispielsweise die Lebensgeschichte der jeweiligen Persönlichkeit in ihrer Gesamtheit vom ersten bis zum letzten Atemzug ausgebreitet wird. Stanley Tucci, dessen Gesicht aus unzähligen Rollen bekannt ist, aber für Final Portrait seit zehn Jahren zum ersten Mal wieder als Regisseur hinter der Kamera stand, gelingt es, die Biografie Giacomettis auf simple und exquisite Art und Weise darzustellen.
Indem der Geist der Zeit, der Kunst, wie auch der Persönlichkeit in einer kurzweiligen und schlichten Nahaufnahme eingefangen werden, vermeidet Final Portrait Fallen wie Langatmigkeit oder Fahrigkeit. Obwohl sich das gesamte Drama auf die wenigen Wochen streckt, in denen Giacometti seinen Bekannten James Lord auf der Leinwand verewigen will, glückt die Skizze der Lebensgeschichte des künstlerischen Genies. In kleinen Begegnungen mit seiner Frau (Sylvie Testud), seiner Mätresse (Clémence Poésy) und seinem Bruder (Tony Shalhoub), sowie in den wenigen, konzentrierten Momentaufnahmen während der Sitzungen, erhält man als Zuschauer trotz des limitierten Einblicks ein detailliertes und repräsentatives Verständnis für das Leben und die Person Giacomettis. Seine Ausbrüche, Stimmungsschwankungen und sein humorvoller Zynismus werden wunderbar und facettenreich von Oscarpreisträger Geoffrey Rush realisiert. Sein Counterpart James ist elegant interpretiert von Armie Hammer, der eine auffallende Ähnlichkeit zum echten James Lord hat.
Wie Giacomettis Gemälde, die vorwiegend in Grautönen gehalten sind, ist die Farbgebung des Films entsprechend angepasst. Kameramann Danny Cohen, der 2011 für seine Arbeit in The King’s Speech für den Oscar nominiert war, verwendet durchweg eine kalte Beleuchtung, die die Inszenierung authentisch statt ausgeschmückt und überzogen wirken lässt.
Ein Chaos im Stillstand
Das verrümpelte, heruntergekommene Atelier im Hinterhof einer Pariser Seitengasse, in dem sich Giacomettis berühmte, langbeinige Ton-Skulpturen anhäufen, ist nicht gerade das, was man sich unter dem Arbeitsplatz eines der gefeiertsten und wohlhabendsten Künstler seiner Zeit vorstellt. Doch reflektiert das Studio Giacomettis getriebenes Innenleben. So zeigt sich die Rastlosigkeit der Figur in jeder ihrer Handlungen: kettenrauchend, selbstzweiflerisch schimpfend und Haare raufend streift er durch den kargen Raum, um immer wieder an den in feuchten Tüchern eingewickelten Tonköpfen rumzudrücken; scheinbar eher aus Eigentherapie als aus künstlerischem Antrieb. So unvollendet, wie er jedes seiner Werke beschreibt, könnte auch Final Portrait endlos weitergehen.
Denn obwohl während der Spielzeit nicht allzu viel „passiert“ und man die fehlende Dichte des Drehbuchs oder den Fortgang der Erzählung bemängeln könnte, wird man dennoch mit einem harmonischen Gefühl von Zufriedenheit zurückgelassen. Denn in Final Portrait sind die klassischen Erzählelemente wie Spannung, Wendepunkte oder Charakterentwicklung von geringerer Bedeutung als das Erfassen der Zeit, die in Giacomettis Atelier gleichsam stillzustehen wie verfliegen zu scheint. Die Untertöne, subtilen Details und der Rhythmus, vorgegeben von den gemeinsamen Sitzungen, machen das Tempo und Gefühl des Films aus. Das Ende ist wie erwartet antiklimaktisch, aber rundet die Geschichte mit Humor und Feingefühl für das Gesamtkunswerk voll und ganz ab.
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