Morgen

Morgen

(OT: „Morgen“, Regie: Nola Anwar/Felix Christopher Giese/Jan Bernd Gilles/Amina Rosa Krami/Angela Madeleine Queins, Deutschland, 2016)

Kohle ist die Zukunft! Zumindest in dem kleinen Dorf Mühlberg, unter dem große Vorkommen des Rohstoffes lagern sollen. Das Dorf selbst soll deshalb bald der Vergangenheit angehören, damit der Abbau ungestört vorangehen kann. Für die Bewohner ist das natürlich eine Katastrophe. Während die einen sich damit abgefunden haben und längst über alle Berge sind, haben andere noch immer ausgeharrt. Doch auch für sie sind die Tage gezählt, die Bagger sind bereits im Anmarsch. Nun heißt es auch für den Rest Abschied nehmen. Aber wie soll das gehen, wo sie doch ihr ganzes Leben in Mühlberg verbracht haben? Wie wollen sie all das hinter sich lassen?

Viele Köche verderben den Brei, heißt es ja so schön. Bei Filmen ist das jedoch nicht ganz so eindeutig. Sicher, wenn ein halbes Dutzend Leute an einem Drehbuch herumwerkeln, braucht man keine größeren künstlerischen Ergebnisse zu erwarten. Spannend ist es aber manchmal, wenn gleich mehrere Regisseure zusammenkommen und gemeinsam an einem Thema arbeiten. Leider beschränken sich die meisten Beispiele auf irgendwelche Horroranthologien wie V/H/S – Eine mörderische Sammlung oder German Angst, die letztendlich nicht mehr sind als eine Sammlung von Kurzfilmen. Aber es gibt sie auch, die seltenen Werke, in denen die Ambitionen der Kooperation etwas größer ausfallen.

Das Ende ist auch ein Anfang
Im Schweizer Heimatland trafen sich so gleich zehn Nachwuchsregisseure zusammen, um anhand von verschiedenen Handlungssträngen eine Mischung aus Katastrophenfilm und Gesellschaftsporträt zu drehen. Der deutsche Kollege Morgen geht da in eine ähnliche Richtung. Hier war es ein Kollektiv aus fünf Filmemachern, die uns die letzten Bewohner eines dem Untergang geweihten Dorfes näherbrachten. Eine durchgehende Handlung gibt es deshalb auch hier nicht, wohl aber gemeinsame Themen: Abschied und Neuanfang bestimmen das Leben der Protagonisten. Sie alle stehen an Wendepunkten, die mal durch die Bagger, aber auch private Veränderungen beschworen werden.

Eine leichte Melancholie liegt dann auch über dem vereinsamten Dorf. Menschen trennen sich, müssen andere begraben oder auch längst verlorene wieder aufs Neue beweinen. Denn nur wer hier tatsächlich mit der eigenen Vergangenheit auf Augenhöhe agiert, kann auch nach einer Zukunft suchen. Als Zuschauer ist man bei dem Beitrag vom Filmfest Oldenburg 2017 manchmal genauso orientierungslos und unschlüssig wie die Figuren in Morgen. Klassische Einführungen gibt es hier nicht. Auch durch die sich ständigen treffenden und wieder lösenden Handlungsstränge ist es schwierig, den Charakteren wirklich nahezukommen. Immer wenn man meint, jetzt endlich irgendwo angekommen zu sein, heißt es wieder Koffer packen, Abschied nehmen, bei jemand anderem unterzukommen.

Zwischen Melancholie und absurder Komik
Durch die oftmals menschenleeren Straßen entsteht in Morgen eine zuweilen surreale Atmosphäre, vergleichbar zu dem thematisch verwandten Wir sind die Flut. Hier verbindet sich das Nachdenkliche aber oft auch mit dem Komischen. Manche Marotten und Fluchtmechanismen sind so absurd, dass Lachen der einzige Ausweg bleibt. Wobei die Ironie, dass die Zukunft durch einen fossilen Brennstoff provoziert wird, im Film nicht weiter aufgegriffen wird. Aber auch wenn zum Ende hin unklar bleibt, was der Morgen nun bringt – einige der Figuren zeigen sich bei dem schwierigen Übergang geschickter als andere –, es ist eine interessante Reise durch die Nacht, welches das Regiequintett hier für uns bereithält. Und zumindest das Versprechen, dass von ihnen in Zukunft noch mehr zu sehen sein wird.



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Ein kleines Dorf soll abgerissen werden, um so an große Kohlevorkommen zu gelangen, das hätte leicht auch eine Komödie werden können. Stattdessen ist das episodenhafte Kollektivprojekt „Morgen“ aber eine melancholische und nachdenkliche Auseinandersetzung mit Vergangenheit und Zukunft, sucht zwischen Abschied und Neuanfang einen Weg.
7
von 10