„SS-GB“, UK, 2017
Regie: Philipp Kadelbach; Drehbuch: Neal Purvis, Robert Wade; Vorlage: Len Deighton; Musik: Dan Jones
Darsteller: Sam Riley, Kate Bosworth, James Cosmo, Maeve Dermody, Lars Eidinger, Rainer Bock
Neun Monate sind vergangen, seitdem die Nazis in England einmarschiert sind, das Land steht 1941 unter der Kontrolle des Reiches. Während der König in Gefangenschaft ist und die Behörden mit den Deutschen zusammenarbeiten, formiert sich im Geheimen ein Widerstand. Das bedeutet für Detective Douglas Archer (Sam Riley) einen ziemlichen Drahtseilakt. Auf der einen Seite muss er den deutschen Befehlshabern, etwa General Fritz Kellermann (Rainer Bock), Folge leisten. Auf der anderen Seite hat er selbst Beziehungen zum Widerstand. Und so versucht er sich neutral zu verhalten, in der Hoffnung, dass die Situation sich irgendwann wieder ändert. Das tut sie, wenn auch anders als erhofft: Als der Widerstand einen Mann ermordet, reist SS-Offizier Dr. Oskar Huth (Lars Eidinger) eigens an, um die Geschichte zu untersuchen. Und ausgerechnet Archer soll ihm aufgrund seiner Deutschkenntnisse dabei zur Seite stehen.
Als würden Filmemacher und Dokumentaristen nicht auch so schon immer wieder neue Geschichten innerhalb des Zweiten Weltkriegs ausbuddeln, gibt es zusätzlich vereinzelt alternative Überlegungen: Was wäre eigentlich, wenn Hitler den Krieg nicht verloren hätte? Die Serie The Man in High Castle machte kürzlich vor, wie viel aus dieser Prämisse herauszuholen ist. SS-GB ist quasi das britische Pendant dazu. Um einen bloßen Trittbrettfahrer handelt es sich jedoch nicht, denn wie der amerikanische Kollege auch basiert die Serie auf einem älteren Roman. Genauer war es der britische Autor Len Deighton, der 1978 seine Vision eines von den Deutschen besetzten Englands in Papierform auf den Markt brachte.
Der Zweite Weltkrieg mal anders
Mit den realen Vorkommnissen des Zweiten Weltkriegs hat SS-GB deshalb dann auch weniger zu tun. Von den bedeutenden Akteuren der damaligen Zeit lässt sich kaum einer blicken. Der König ist in Gefangenschaft, die Königin und die Prinzessinnen sind im Exil, Churchill wurde hingerichtet. Und die deutsche Crème de la Crème wird zwar vereinzelt zitiert, ist aber anderweitig verhindert. Das macht die Geschichte zwar ein klein wenig austauschbar, da sie ohne große Abänderungen auch in jedem anderen besetzten Land hätte spielen können. Ein wirklicher Nachteil ist es aber nicht.
Die Serie ist ohnehin weniger mit dem Krieg als großem Ganzen beschäftigt. Der wird später zwar noch wichtiger. Zunächst einmal handelt SS-GB jedoch von den Menschen in England und deren verschiedenen Weisen, mit der Situation fertig zu werden. Da gibt es die Kollaborateure, die von den neuen Herren kräftig profitieren. Auf der anderen Seite sind die Widerstandskämpfer, die ihr Land wieder für sich haben wollen. Tja, und dazwischen steht irgendwo Archer, der selbst nicht so genau weiß, wo er hin soll. Die Serie befasst sich dann auch viel mit den Grenzbereichen, den vielen juristischen wie moralischen Grauzonen eines solchen Ausnahmezustands.
Geheime Aktivitäten auf allen Seiten
Gleichzeitig ist SS-GB aber eben auch eine Spionageserie. Da wird kräftig intrigiert, Leute führen ein Doppelleben. Selbst innerhalb derselben Seite sind nicht alle auf derselben Seite – Machtkämpfe innerhalb der deutschen Besatzer gehören zum Spiel ebenso dazu wie geheime Pläne des Widerstandes oder auch der offiziell neutralen Amerikaner. Es ist recht spannend, was Regisseur Philipp Kadelbach (Unsere Mütter, unsere Väter, Auf kurze Distanz) aus dem betagten Stoff geholt hat. Die Aufklärung des anfänglichen Mordfalls fesselt ebenso wie die persönlichen Schicksale. Dass Archer sich irgendwann für die „richtige“ Seite entscheiden wird, steht zwar außer Frage, dafür wird er zu sehr von Anfang an als Protagonist gepusht. Ansonsten ist aber offen, was hier wann wie und wem geschehen wird – schließlich befinden wir uns in einer alternativen Realität.
Äußerst real sind hingegen – zum Glück – die schauspielerischen Leistungen. Besonders sympathisch ist, dass bei der guten Besetzung auch wirklich auf die Nationalität geachtet wurde. In SS-GB versuchen sich keine Amerikaner an einem britischen Akzent, kein Brite muss einen Deutschen spielen. Das ist vor allem im Original eine Wonne, wenn immer wieder Passagen tatsächlich auf Deutsch gesprochen werden, wenn deutsche Soldaten miteinander reden. So wie es eben auch in echt stattfinden würde. Eine solche Liebe zur Detail-Authentizität, das tut gut. Da das Drumherum wie so oft bei einer BBC-Produktion ebenfalls keine Mängel aufweist, gibt es keinen echten Grund, sich des atmosphärisch dichten Ausflugs in die Vergangenheit verweigern zu wollen. Wer gerne mal wieder eine altmodische Spionagegeschichte sehen möchte, bei der brenzlige Situationen nicht automatisch in Feuergefechte übergehen, der sollte hier einmal vorbeischauen.
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