The Untamed
© Forgotten Film Entertainment

„La región salvaje“, Dänemark/Deutschland/Frankreich/Mexiko/Norwegen/Schweiz, 2016
Regie: Amat Escalante; Drehbuch: Amat Escalante, Gibrán Portela;
Musik: Martín Escalante, Igor Figueroa, Fernando Heftye, Lasse Marhaug, Guro Moe

Darsteller: Ruth Ramos, Jesús Meza, Simone Bucio, Eden Villavicencio

The Untamed
„The Untamed“ läuft ab 11. Januar 2018 im Kino

Ángel (Jesús Meza) und Alejandra (Ruth Ramos) haben ein Haus, zwei Kinder, alles was man braucht – zumindest nach den traditionellen Wertvorstellungen, die in der mexikanischen Kleinstadt herrschen. Tatsächlich funktioniert es aber schon länger nicht mehr zwischen den beiden. So hat Ángel eine heimliche Affäre mit Alejandras Bruder Fabián (Eden Villavicencio). Das Leben aller soll sich aber entscheidend verändern, als eines Tages ein Meteor einschlägt. Denn damit öffnen sich die Türe zu der absoluten Lust, wie die mysteriöse Verónica (Simone Bucio) behauptet. Aber es ist eine Lust, die mit Gewalt und Gefahr einhergeht.

Sex kann etwas Schönes sein, befriedigend, befreiend, zärtlich. Er kann aber ziemlich hässlich werden, finster, abgründig. In The Untamed ist er beides irgendwie. Und es ist gar nicht so leicht zu sagen, wo das eine anfängt und das andere aufhört, wo er Ausdruck von Gemeinsamkeit ist, wo nur das eigene Abarbeiten von Gelüsten, wo Gefälligkeit, wo echte Lust. Allgemein hat es Amat Escalante nicht so mit den definitiven Aussagen, der mexikanische Regisseur und Co-Autor zieht das Spiel mit dem Vagen vor, deutet an, kreiert Stimmung und zieht sich im entscheidenden Moment zurück.

Bizarres Sex-Alien, irdische Gelüste
Beispielsweise geht Escalante nicht näher darauf ein, was es mit dem seltsamen Wesen aus dem All so auf sich hat. Es ist eines Tages da, kam mit dem Meteor, besteht aus einer Anhäufung phallusartiger Tentakel und ist in der Lage, unglaubliche Lust zu bereiten. Oder eben auch Schmerz. Das weckt zunächst eher unappetitliche Erinnerungen an diverse Tentakelsexgeschichten, wie man sie früher vereinzelt in berüchtigten Animes fand. Und doch ist The Untamed kein reiner Trash. Das bizarre Sex-Alien ist vielmehr Anlass, eine Menge über die irdischen Gelüste und Vereinigungen zu erzählen.

Eine ganze Zeit lang „vergisst“ der Film nämlich, die Geschichte um das Monster weiter auszuführen. Stattdessen steht die Familiengeschichte im Vordergrund. Anhand der beiden Paarungen Ángel/Alejandra und Ángel/Fabián schneidet er eine ganze Menge von Themen an. Die unterschiedliche Stellung von Mann und Frau beispielsweise. Das (geringe) Ansehen von Homosexualität in der ländlich-konservativen Gesellschaft. Das Selbstverständnis in einer Ehe. Und natürlich was es heißt, seine eigenen Gelüste zu unterdrücken. Wenn The Untamed mit der Zeit immer finsterer und brutaler wird, dann bedeutet das eben, dass Sexualität sich nicht ewig leugnen lässt. Je größer der Druck, umso gewaltiger auch die Entladung.

Der Alltag hinter dem Grotesken
Die Geschichte um einen Mann, der seine Frau mit deren Bruder betrügt, ist natürlich nicht so ganz aus dem Leben gegriffen. Von unförmigen Tentakelwesen mal ganz abgesehen. Hinter dieser unglaublichen, manchmal auch sehr unheimlichen Fassade, die eines „echten“ Horrorfilms würdig wäre, steckt aber eine Erzählung, die doch eng mit uns und unserem Alltag verbunden ist. The Untamed ist eigentlich sogar stärker, wenn das märchenhaft-furchteinflößende Szenario zu einer reinen Kulisse wird, vor der in die alltäglichen Abgründe geschaut wird.

Freunde etwas ungewöhnlicherer Streifen sollten sich die Gelegenheit daher nicht entgehen lassen, den Beitrag vom Filmfest München 2017 nun auch im Rahmen eines regulären Kinostarts zu sehen. Für manche Szenen braucht es zwar einen etwas abgehärteten Magen. Ein paar Antworten mehr wären auch ganz nett gewesen, andere Stellen hätten subtiler sein dürfen. Ein alltäglicher Anblick ist die internationale Coproduktion aber so oder so nicht, sondern eine faszinierende Verbildlichung des dürstenden Tieres, das in uns schlummert. Lauert. Auf den Moment wartend, auszubrechen und alles zu verschlingen, was ihm in die Fänge kommt.



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„The Untamed“ erzählt die Geschichte eines außerirdischen Tentakelmonsters, das sexuelle Begierden erfüllt. Und es erzählt die Geschichte einer unglücklichen Ehe. Das ist rätselhaft, bedrohlich, manchmal auch etwas widerlich. Ein Film, der nicht von dieser Welt ist und doch vieles anschneidet, was in dieser vor sich geht – wenn auch manchmal im Verborgenen.
7
von 10