Tigermilch
© Constantin Film

Tigermilch

„Tigermilch“, Deutschland, 2017
Regie: Ute Wieland; Drehbuch: Ute Wieland; Vorlage: Stefanie de Velasco; Musik: Kicker Dibs
Darsteller: Flora Thiemann, Emily Kusche, David Ali

Tigermilch DVD
„Tigermilch“ erscheint am 18. Januar 2018 auf DVD und Blu-ray

Nini (Flora Thiemann) und Jameelah (Emily Kusche) sind beste Freundinnen. Die beiden Teenies wachsen gemeinsam in Plattenbauten in Berlin auf. Während Nini in der Schule versagt, ist die irakisch-stämmige Jameelah, die mit ihrer alleinerziehenden Mutter zusammen lebt, eine Überfliegerin. Nach der Schule treffen sich die Mädchen, trinken “Tigermilch”, ein Gebräu aus Milch, Maracujasaft und Weinbrand, und streifen durch die Kieze Berlins. Dabei zieht es sie manchmal in düstere Gegenden, wie auf den Strich, wo sie mit Leichtigkeit und Kessheit ihre Wirkung auf Freier und die Grenzen ihrer aufblühenden Weiblichkeit testen. Alles scheint perfekt: Sommerferien, Freibad, ausgelassene Partys und die erste Liebe. Doch als Jameelah und ihre Mutter abgeschoben werden sollen, bedroht das nicht nur Jameelahs Zukunft, sondern auch die Freundschaft zwischen den beiden Mädchen.

Sozialkritischer Gehalt
2013 erschien der gleichnamige Roman von Stefanie de Velasco, der damals für den Deutschen Jugendbuchpreis nominiert war und dessen vielschichtigen Inhalt Regisseurin Ute Wieland, bekannt für die Freche Mädchen-Filme, auf die große Leinwand bringt. Tigermilch beginnt als klassische Teenie-Komödie: der Traum der perfekten Sommerferien inklusive süßer Jungs, selbstgemischter Drinks und Joints im Park und legendärer Hausparties. Aber bald wird klar, dass die Geschichte viel mehr ist als eine Spaß-Studie der verkorksten Kinder Berlins. Anders als andere Jugendfilme schlägt Tigermilch vor allem in der zweiten Hälfte einen raueren, ehrlicheren Ton an. Der Coming-of-Age-Anteil der Geschichte und die Charakterentwicklung der beiden Heldinnen sind dabei gut getroffen.

Im Fokus stehen soziale Unterschicht, Integration und Zusammenprall der Kulturen. Neben Jameelahs drohender Abschiebung, deren Ungerechtigkeit und Unvermeidbarket die Freundinnen wie auch den Zuschauer gleichermaßen erschüttern und erzürnen, begegnet man Ninis Familie: die Mutter, die immerzu lethargisch und alkoholisiert vor dem Fernseher liegt, kein Interesse an ihrer Tochter zeigt; die jüngere Halbschwester, die Nini deutlich macht, dass ihr leiblicher Vater sie “nicht will”. Außerdem lernt man Amir kennen: ein befreundeter Mitschüler, dessen muslimische Schwester durch die Verlobung mit einem Serben den Zorn ihrer Familie auf sich zieht.

Das Leben und die Probleme der multikulturell bewohnten Wohnblöcke, die für Tausende von Jugendlichen in Deutschland Alltag bedeuten, jedoch im deutschen Kino bislang nur selten einen Platz gefunden haben, werden hier authentisch und unverblümt inszeniert. Der Wendepunkt im Film, in dem gleichzeitig die Darstellung der jugendlichen Unschuld wie auch die angedeuteten Differenzen der Protagonisten auf die Spitze getrieben werden, schockiert. Dadurch gelingt es, die anfangs eintönige und vorhersehbare Story und die typisierten Charaktere interessant und ungewöhnlich zu machen.

Instabile Umsetzung
Obwohl Tigermilch thematisch hochinteressant ist, läuft aus filmischer Perspektive nicht alles glatt. Aufgrund des Aufbaus und der Zweiteilung mag manch ein Zuschauer von der Seichtigkeit der ersten Hälfte entweder gelangweilt oder getäuscht werden. Obwohl der Traum vom Teenagerdasein durchaus unterhaltsam sein kann und die jungen Mädchen unter den Zuschauern einen Herzensstich der Sehnsucht verspüren mögen, dauert der erste Teil schlichtweg zu lange an, da der Film etwas anderes verspricht. Schlussendlich hält er sein Versprechen und gräbt ein bisschen tiefer. Allerdings fehlt es durchweg an Konsequenz, woran im Endeffekt die Gesamtqualität leidet. Die Wendepunkt passiert rasch und unerwartet, danach versinkt der Film im Chaos. Die Erzählstränge, die in der ersten Hälfte aufkeimen, verheddern sich in der zweiten Hälfte und schaffen es somit nicht, die nötige Aufmerksamkeit und Mitgefühl zu gewinnen. Sperrige Dialoge und teilweise hölzernes Schauspiel tragen zur zähen Konsistenz bei.

Außerdem wird die Aufmerksamkeit, die eigentlich auf der verwirrten Gefühlslage der halbstarken Mädchen und Jungen als Reaktion auf die heftigen und unerwarteten Ereignisse liegen sollte, zu häufig durch gewollte Schocker, z.B. übertriebene Sexualität, Tabubrüche, etc., abgelenkt. So kann man das Publikum natürlich auch locken und für Gesprächsstoff sorgen. Doch zu einer denkwürdigen Geschichte gehört etwas mehr dazu.



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Ein Film übers Erwachsenwerden, Freundschaft und brutale Realität. Ein guter Versuch und eine schöne Abwechslung in der deutschen Filmlandschaft. Leider bleiben viele Andeutungen auf der Strecke und die Geschichte verliert an erhoffter Substanz.
6
von 10