„1945“, Ungarn, 2017
Regie: Ferenc Török; Drehbuch: Ferenc Törok, Gábor T. Szántó; Musik: Tibor Szemzo
Darsteller: Péter Rudolf, Tamás Szabó Kimmel, Dóra Sztarenki, Bence Tasnádi, Ivan Angelusz, Marcell Nagy
An einem besonders heißen Tag im August 1945 bereitet sich ein Dorf in Ungarn auf die Hochzeit des Sohns des Stadtschreibers (Péter Rudolf) vor. Währenddessen treffen zwei jüdische Männer (Ivan Angelusz, Marcell Nagy) am Bahnhof des Dorfes ein, beladen mit zwei mysteriösen Kisten mit der Aufschrift „Parfums“. Als der Stadtschreiber davon hört, befürchtet er, dass die beiden Männer Erben der jüdischen Dorfbewohner sein könnten, die von den Nazis deportiert wurden, und dass sie beabsichtigen, das unrechtmäßig erworbene Eigentum zurückzufordern, das sie im Zweiten Weltkrieg verloren haben. Auch die anderen Ortsansässigen bangen um das Land und den Besitz, die sie für sich beansprucht haben.
Eine Nachkriegserzählung im Western-Stil
1945 ist eine spartanische und suggestive Komposition des Regisseurs Ferenc Török, die in visuell prachtvoller, kontrastreicher Schwarz-Weiß-Optik aufgenommen wurde und, beabsichtigt oder nicht, Gebrauch von bekannten Western-Elementen macht: die drohende Gefahr um den Erhalt von Recht und Ordnung, die sengende Hitze, das Ticken der Uhr, die genauso gut bald zwölf Uhr mittags schlagen könnte. Der Film kann allgemein in das Genre der Holocaust-Thematik eingeordnet werden, bietet allerdings eine unübliche Herangehensweise und damit eine willkommene Abwechslung.
Für jene, die sich mit Europäischer Geschichte auskennen, ist es keine Überraschung, dass viele Menschen von der Deportation ihrer jüdischen Nachbarn profitierten. Török und sein Co-Autor Gábor T. Szántó, auf dessen Kurzgeschichte Homecoming der Film 1945 basiert, fokussieren sich ganz klar auf die Perspektive der Dorfbewohner, die fast alle von Schuldgefühlen über die unrechtmäßig erstandenen Zugewinne geplagt werden. Für manch einen wird der Druck zu hoch, andere verbittern in der Entschlossenheit, den neu gewonnen Luxus nicht wieder herzugeben. Der schöne Schein beginnt zu bröckeln, das Dorf zeigt sein wahres Gesicht.
In seiner Wortkargheit und Schlichtheit wird der Beitrag vom Mittel Punkt Europa Filmfest 2018 zu einer spannungsgeladenen Zeitbombe. Obwohl oder gerade weil es kaum Action, kaum Dialog, kaum Erklärung gibt, kommt der Siedepunkt der Spannung und Beklemmung schleichend und löst sich in einer antiklimaktischen Wendung auf. Mithilfe der simplistischen und modernen musikalischen Begleitung kann der symbolbeladene Film, in dem zugleich nichts und alles passiert, als Parabel von zwischenmenschlicher Moral und Schuldunterdrückung bzw. -bewältigung verstanden werden.
Schwache zweite Hälfte
So packend und gut geschrieben das Drehbuch sein mag, ist 1945 nicht perfekt. Neben der Tatsache, dass die Charaktere und deren Motivation zu vereinfacht sind, werden außerdem ein paar überflüssige Erzählstränge wie die Affäre der zukünftigen Braut gesponnen, die der eigentlichen Handlung nichts zugute tun, sondern den Fortgang der Erzählung unnötig retardieren.
Der größte Kritikpunkt ist die Inkonsequenz in der zweiten Hälfte. Der Film verspricht viel, deutet eine steile Spannungskurve an, stolpert schlussendlich aber über seine eigenen Füße. Rückblickend kann man festhalten, dass der Film mehr Interesse daran hat, die Ausgangssituation detailliert und exquisit auszubauen, als an einer schlüssigen Auflösung zu arbeiten. Der erzählerische Atem geht auf halber Strecke aus und somit bleibt 1945 ein Innuendo ohne befriedigendes Resultat.
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