„37“, Deutschland, 2018
Regie: Chris Brügge; Drehbuch: Chris Brügge; Musik: Peter Jeremias, Simon Osterhold
Darsteller: Alexander Milo
Auch wenn unser Leben naturbedingt chronologisch verläuft und unser Blick normalerweise in die Zukunft gerichtet ist, es gibt doch immer mal wieder Anlässe, unterwegs einen kleinen Zwischenstopp einzulegen und über die Vergangenheit nachzudenken. Silvester ist so ein Klassiker. Geburtstage, zumindest ab einem gewissen Alter. Aber auch wenn wir jemanden verloren haben, der Teil von uns und unserem Leben war. Marc (Alexander Milo) hat diese traurige Erfahrung gemacht. Er ist zu jung, um alt zu sein, zu jung für eine Midlife-Crisis. Aber alt genug, um sich nicht mehr sicher zu sein, ob es das alles wert war.
Nein, 37 ist kein Film über eine gescheiterte Existenz. Auch nicht über tragische Schicksale. Sie spielen hinein, diese traurigen Erlebnisse. Streitigkeiten mit der Familie. Das plötzliche Verschwinden. Gebraucht zu haben und enttäuscht zu werden. Zu suchen und zu hoffen, nur um am Ende doch mit leeren Händen dazustehen. Aber stimmt das auch? Sind sie wirklich leer? Immer wieder denkt Marc darüber nach, die Zeit zurückzudrehen, von vorne anzufangen, alles anders zu machen. Die Erkenntnis: Da war doch mehr dran an diesem Leben.
Alles im Fluss
Seltsam ist der Film, den Chris Brügge da gedreht hat. Nicht, weil wir uns nicht darin wiederfinden, er zu fern von unserem eigenen Leben ist. Vieles davon hätte auch uns passieren können. So wie der Weg das Ziel ist, während wir uns da draußen nach einem Sinn sehnen, so ist auch 37 nicht fokussiert, hat keinen Endpunkt vor Augen. Fließend gehen hier Erinnerungen ineinander über, aus den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens. Manche glücklich, voller Sonne und Wärme. Andere nicht.
Das hat weder durchgehende Handlung noch roten Faden, selbst die Sache mit dem Erkenntnisgewinn darf mit einem kleinen Fragezeichen versehen werden. Es fehlt der Rahmen, der den einzelnen Episoden Halt gibt. Ein Versehen ist das natürlich nicht. Vielmehr kreiert Brügge hier einen impressionistischen Bewusstseinsstrom, traumartig in der Anmutung. Man wartet nur geradezu darauf, dass der Vorhang fällt und wir erfahren, dass im Angesichts des Todes das Leben vor Marcs innerem Auge vorbeilief. Und vor den Augen des Publikums natürlich.
Wer bin ich? Und wer bist du?
Anderthalb Stunden leisten wir dem jungen Mann auf diese Weise Gesellschaft, vergessen Raum und Zeit. Möglich, dass es das Ende war. Vielleicht war es aber auch der Anfang. Wer kann das schon so genau unterscheiden? Anteilnahme ist angesichts der fehlenden fortlaufenden Entwicklung schwierig, vieles und viele bleiben so flüchtig, dass der Weg zum (Zwischen-)Menschlichen im Nichts verschwindet. Lediglich einige dramatische Ausbrüche stechen aus der luftigen Retrospektive hervor, etwas unschön, es sind die weniger überzeugenden Momente.
Schade ist zudem, dass die Bilder weniger erinnerungswürdig sind. Das ständige Spiel mit Unschärfen bietet auf Dauer dann doch nicht so wahnsinnig viel Reiz. Manche Motive könnten auch aus einem Imagefilm eines Reiseveranstalters sein. Idyllisch ist schön, klar. Ein bisschen persönlicher hätte es dann aber doch sein dürfen, gerade auch angesichts eines Inhalts, der sich ausschließlich dem Persönlichen widmet und die Welt da draußen vergisst. Und doch war es eine interessante Reise, ein experimenteller Gegenentwurf zu den üblichen Nabelschauen, wenn Filmprotagonisten meinen, ihre Vergangenheit mit uns teilen zu wollen. Die von Marc mag vielleicht nicht wirklich besonders gewesen sein, war es dann aber irgendwie doch – als individuelle Abfolge von Momenten, die alles und nichts bedeuten.
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