„HaChayim Al-Pi Agfa“, Israel, 1992
Regisseur: Assi Dayan; Drehbuch: Assi Dayan; Musik: Naftali Alter
Darsteller: Gila Almagor, Irit Frank, Smadar Kilchinsky, Dani Litani, Sharon Alexander, Avital Dicker, Shmil Ben Ari, Shuli Rand
Nein, sie können hier keine Barbies kaufe, erklärt Daliah (Gila Almagor) amüsiert, auch wenn der Name ihrer Bar tatsächlich an die ikonischen Puppen interessiert. Dafür gibt es andere Möglichkeiten, sich zu vergnügen. Alkohol natürlich. Aber auch Drogen. Von denen konsumiert die Bedienung Daniela (Smadar Kilchinsky) nämlich eine ganze Menge, während sie davon träumt, endlich Israel hinter sich lassen zu können, um in Amerika ein neues, besseres Leben zu beginnen. Ricky (Avital Dicker) hingegen ist gerade erst angekommen, lebte bislang in einem Kibbutz und hat große Schwierigkeiten dabei, mit der Realität fertigzuwerden. Oder auch mit den Männern, die in ihr ein reines Sexobjekt sehen.
Die Stadt rieche sauer, sagt Ricky an einer Stelle. Nach Streit auch. Das ist nicht wirklich ein Wunder, schließlich hatte sie gerade in der Bar einen solchen miterlebt. Ein Großteil von Life According to Agfa spielt in dieser Bar, die Anzugspunkt der unterschiedlichsten Menschen sein wird. Unterschiedliche Ethnien, unterschiedliche Religionszugehörigkeiten, vor allem aber unterschiedliche Charaktere. Da sind Grobiane dabei, Träumer, gescheitere Existenzen und solche in feinen Kostümen und mit distinguiertem Auftreten. Einen Querschnitt durch die israelische Gesellschaft wollte Assi Dayan damals dennoch nicht drehen. Was der Regisseur und Drehbuch, zuvor in erster Linie durch Komödien bekannt geworden, jedoch stattdessen mit seinem Film erreichen wollte, das bleibt ein Rätsel.
Ich bin ein Gast, holt mich hier raus!
Das gilt für vieles in dem Werk, das sich einer konsequenten Genreeinteilung entzieht. Einige Stellen sind komisch, andere dramatisch. Je weiter der bei der Berlinale 2018 wiederaufgeführte Film voranschreitet, umso seltsamer wird er, umso surrealer. Und umso alptraumhafter auch. Oft wird nicht ganz klar, warum sich die einzelnen Figuren so verhalten, wie sie es tun. Woher diese Aggressivität kommt, diese gleichgültige Menschenverachtung. Aber sie ist nun einmal da. Bei dem einen latent, bei anderen wird sie schon frühzeitig gezeigt. Immer weiter spitzt sich die Situation zu, wird die Atmosphäre düsterer und bedrückender, bis zu dem grotesken Finale.
Dass Life According to Agfa eine so unangenehme Stimmung erzeugt, liegt aber nicht nur an den Figuren, die von befremdlich bis abscheulich reichen. Es hängt auch viel mit dem Setting zusammen. Wie der deutsche Untertitel Nachtaufnahmen bereits aufzeigt, spielt der Film zu einem großen Teil während der Nacht. Und: Er spielt zu einem großen Teil in der Bar. Anfangs, zur Einstimmung auf das Folgende, begleiten wir noch die Protagonisten bei ihrem sonstigen Leben zwischen wahllosem Sex, Drogen und Polizeigewalt. Später werden wir kaum noch hinaus gelassen in die Welt da draußen, sind mit Menschen eingesperrt, die nur darauf warten, gewaltsam zu explodieren. Menschen, denen wir hilflos ausgeliefert sind.
Rätselhaft bis zum bitteren Ende
Das ist nicht unbedingt immer glaubhaft oder nachzuvollziehen. Vermutlich war das aber auch gar nicht beabsichtigt. In schönen, nostalgisch stimmenden Schwarzweißbildern blicken wir durch eine Kamera in den Abgrund, erkennen mit der Zeit immer mehr Details, während wir uns vielleicht wünschen würden, es lieber nicht zu tun. Apropos Kamera: Weshalb der berühmte Kamerahersteller Agfa im Titel verewigt wurde, wird innerhalb des Films nie erklärt. Es ist nicht einmal sicher, ob überhaupt Kameras des deutschen Unternehmens zum Einsatz kamen, da widersprechen sich Anekdoten und Legenden. Immerhin nutzt Dayan das Thema aber für einen kleinen Tick: Barfrau Liora (Irit Frank) läuft unentwegt durch die Bar, fotografiert jeden, dem sie begegnet – auch wenn diese das gar nicht wollen. Jedes Mal stoppt das Geschehen dann für einen Moment, während wir auf den Schnappschuss starren. Eine kleinere Erinnerung an eine Horrornacht. Auch an der Stelle bleibt Life According to Agfa, der später Kultstatus erreichen sollte, rätselhaft. Aber manchmal ist es vielleicht besser, keine Antwort zu erhalten. Was einem hier zugemutet wird, ist auch so schon schlimm genug.
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