„Watashitachi no ie“, Japan, 2017
Regie: Yui Kiyohara; Drehbuch: Yui Kiyohara, Noriko Kato; Musik: Keiichi Sugimoto
Darsteller: Nodoka Kawanishi, Yukiko Yasuno, Mariwo Osawa, Mei Fujiwara
Nein, Seri (Nodoka Kawanishi) ist gar nicht begeistert darüber, dass ihre Mutter Kiriko (Yukiko Yasuno) einen neuen Freund hat. Dafür leidet sie noch zu sehr unter dem Tod ihres Vaters. Seither ist das Zusammenleben in dem gemeinsamen Haus in der japanischen Kleinstadt auch recht schwierig geworden. Sana (Mariwo Osawa) hingegen wünschte, sie hätte ein Haus. Oder überhaupt irgendetwas. Selbst bei dem Namen ist sich die Frau nicht so wirklich sicher, ob es der ihre ist. Glücklicherweise läuft sie jedoch Toko (Mei Fujiwara) über den Weg, die sich der Gedächtnislosen erbarmt und mit zu sich nimmt. Eigentlich funktioniert das Zusammenleben auch ganz gut. Wäre da nur nicht dieses Gefühl, dass da etwas nicht stimmt.
Ah ja, schon wieder ein Film, in dem ein Protagonist zu Beginn ohne jede Erinnerung aufwacht. Ein Klassiker, gerade im Thriller-Bereich. Nur dass Our House kein Thriller ist. Er ist auch, trotz der Angabe auf imdb, keine Komödie, selbst wenn manches hier so eigenartig ist, dass Lachen als adäquate Antwort erscheint. Drama? Ein wenig, ja. Zumindest spielen in einer der beiden Geschichte familiäre Probleme eine größere Rolle. Und dann wäre da noch die Möglichkeit, es mal mit der Horrorschublade zu versuchen. Denn wie wir bald feststellen, ist der Titel gar nicht so eindeutig. Beide Geschichten spielen in demselben Haus. Parallel. Gleichzeitig. Sie beeinflussen sich gegenseitig, auf geisterhafte Weise, so wie es manchmal im Genrefilm passiert. Und sind doch nicht Teil derselben Gegenwart.
Moment, das war eben doch noch nicht da?!
Regisseurin und Co-Autorin Yui Kiyohara gibt jedoch keine Antwort, weshalb das passiert. Eine spektakuläre Auflösung à la Sixth Sense oder The Others verweigert sie uns, lässt uns als Beobachter in dem Haus zurück. Verlässt uns, wenn wir jemanden bräuchten, der uns erklärt, was da so vor sich geht. Den Protagonisten geht es da ganz ähnlich, wenngleich sie sich dieser seltsamen Dopplung nie ganz bewusst werden. Sie spüren eine Präsenz oder zumindest, dass etwas nicht stimmt. Geschenke, die verschwinden und wieder auftauchen. Ein Loch in der Papierwand, das niemand gemacht haben will. Und wie war das mit der Vase?
Kiyohara ist sichtbar eine Schülerin von Kiyoshi Kurosawa. Und so wie der gefeierte Regisseur es in Werken wie Cure oder Creepy getan hat, so sind auch bei der Nachwuchsfilmemacherin die Grenzen zwischen real und surreal fließend. Zwischen dem, was da ist, und dem, was nicht da ist. Dem, was eigentlich gar nicht da sein dürfte. Das Spielfilmdebüt der Japanerin bietet aber auch über das ungewöhnliche Szenario hinaus immer wieder Gründe, kurz innezuhalten, zu staunen oder sich verlegen am Kopf zu kratzen. Dialoge, die aus dem Nichts kommen, über verschmutztes Wasser beispielsweise, andeuten, dass da noch sehr viel mehr dahintersteckt. Auch visuell geht Our House eigene Wege – wortwörtlich. Lang gezogene Kamerafahrten treffen auf Aufnahmen in der Totale, bei denen man immer das Gefühl hat, dass sich in den Schatten noch sehr viel mehr verbirgt.
Das frustrierend-fesselnde Spiel mit den Andeutungen
Was dieses etwas jedoch ist, das lässt Kiyohara offen. So wie sie viele Fragen offen lässt, die sich nach und nach in den Köpfen der Zuschauer bilden. Das kann je nach eigenem Naturell frustrierend sein, vielleicht gar langweilig. Die Horror- und Thrillerandeutungen werden – ähnlich zu Kurosawas Daguerreotype aus dem letzten Jahr – nie so richtig ausformuliert, Genrepuristen warten hier vergeblich auf Jump Scares oder alte Flüche. Gleichzeitig ist der Beitrag von der Berlinale 2018 aber eben auch packend, weil er mit minimalistischen Mitteln eine mindestens rätselhafte, wenn nicht gar unheimliche Atmosphäre erzeugt. Immerhin darauf ist Verlass, wenn schon alles andere in der Dunkelheit verschwindet, sich Genregrenzen auflösen und Parallelexistenzen entstehen: Das Mysterium bleibt. Und das ist ja schon mal was.
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