„River’s Edge“, Japan, 2018
Regie: Isao Yukisada; Drehbuch: Misaki Setoyama; Vorlage: Kyoko Okazaki; Musik: Hiroko Sebu
Darsteller: Fumi Nikaidou, Ryo Yoshizawa, Aoi Morikawa, Shuhei Uesugi, Sumire, Shiori Doi
Ichiro Yamada (Ryo Yoshizawa) hat ein Geheimnis. Zwei sogar. Er ist schwul, auch wenn er das hinter seiner Beziehung zu Kanna Tajima (Aoi Morikawa) zu verstecken versucht. Während das eine oder andere Gerücht in der Hinsicht bereits seine Runden dreht, ist das zweite Geheimnis gut versteckt am Ufer des Flusses. Denn dort liegt eine Leiche, die er entdeckt hat und von der sonst nur seine beste Freundin Haruna Wakakusa (Fumi Nikaidou) weiß. Aber auch das sonstige Umfeld der beiden trägt so seine versteckten Begierden und Geschichten mit sich herum und droht, andere ins Unglück zu stürzen. Als es dann auch noch heißt, am Fluss soll viel Geld vergraben sein, droht das endgültige Fiasko.
Eine Leiche, die am Fluss entdeckt wird, eine Gruppe Jugendlicher, die durch diese Erfahrung zusammenwachsen – so manch einer wird hierbei sicher an Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers denken. Die Vorlage für Am Flussufer lieferte jedoch nicht der Horroraltmeister Stephen King . Stattdessen ist es der mittlerweile fast 25 Jahre alte Manga von Kyoko Okazaki, der ein wenig verspätet für die große Leinwand adaptiert wurde. Dass hier ein Comic zugrundeliegt, merkt man dem Film jedoch nicht an. Zumindest kein Comic, der dem hierzulande ganz gern mal verbreiteten Klischee entspricht.
Am Fluss, da geht es düster zu
Düster ist es, was der Eröffnungsfilm der Panorama-Sektion der Berlinale 2018 da auf der Leinwand zeigt. Als wäre das mit der Leiche nicht schon finster genug, scheut River’s Edge wirklich vor keinem Thema zurück. Versteckte Homosexualität trifft auf Mobbing, ungewollte Schwangerschaften dürfen ebenso wenig fehlen wie Bulimie und spontane Ausbrüche von Gewalt. Kaum hat man die eine Szene verarbeitet, kommt schon der Sprung in den Abgrund. Selbst am Tage beschleicht einen das Gefühl, durch die Nacht zu wanken, zu stolpern, zu stürzen.
Mit Litchi Hikari Club oder Tokyo Tribe, zwei anderen gewaltbereiten Manga-Adaptionen, die zuletzt in Deutschland erschienen sind, hat das dennoch wenig gemeinsam. Zum einen sind die entsprechenden Szenen weniger explizit, deuten lieber an, als zu zeigen. Zum anderen stürzt sich River’s Edge nicht vergleichbar in das Groteske. So befremdlich es ist, was die Menschen hier treiben, was sie sich selbst oder anderen antun, es bleibt zumindest so nahe an unserer Erfahrungswelt, dass man dem Film tatsächlich hinein in die Höhle folgt. Zögerlich, aber immerhin.
Viele Wege führen ins Unglück
Naheliegender ist da schon der Vergleich zum Landsmann Innocent Blood aus dem letzten Jahr. Auch dort standen eher die Figuren im Hintergrund, die aus den unterschiedlichsten Gründen in diese Abgründe hineinschlittern. Auch dort wurde keine fortlaufende Geschichte erzählt. Mehrere Handlungsstränge werden in River’s Edge gesponnen, die meisten unabhängig voneinander. Manche davon finden zueinander, andere nicht. Es wird auch nicht alles zu einem wirklich befriedigenden Abschluss gebracht. Die Bestürzung und die offenen Fragen, sie sind auch dann noch da, wenn nach knapp 110 Minuten der Abspann den Schrecken beendet.
Oder es eben auch nicht tut. Die Bilder wirken lange nach, das Echo der Auseinandersetzungen und der grausamen Worte, die sich durch die Herzen fressen. Was sie dort im Einzelnen zu suchen hatten, das wissen wir nicht, sollen es nicht wissen, müssen es vielleicht auch gar nicht wissen. An Stelle der Gewissheit tritt ein Mosaik aus Eindrücken, Stimmungen und Momentaufnahmen, das durchaus fesselt, bei dem man aber gar nicht so genau sagen kann, ob man wirklich genauer hinschauen mag.
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