„Top of the Lake: China Girl“, Australien, 2017
Regie: Jane Campion, Ariel Kleiman; Drehbuch: Jane Campion, Gerard Lee; Musik: Mark Bradshaw
Darsteller: Elisabeth Moss, Gwendoline Christie, Alice Englert, Nicole Kidman, Ewen Leslie, David Dencik, Clayton Jacobson
Fünf Jahre sind seit den schockierenden Ereignissen in ihrer neuseeländischen Heimatstadt vergangen. Für Detective Robin Griffin (Elisabeth Moss) zählt daher im Moment nur eins: alles hinter sich lassen, alles vergessen, noch einmal komplett von vorne anfangen. Doch auch in Sidney wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt. Geplagt von Albträumen von ihrer zur Adoption freigegeben Tochter Mary (Alice Englert), versucht Griffin Kontakt zu den Adoptiveltern Jane (Nicole Kidman) und Pyke Edwards (Ewen Leslie) aufzunehmen und platzt mitten in ein großes Familiendrama. Dabei bräuchte Robin eigentlich einen freien Kopf. Schließlich müssen sie und ihre neue Partnerin Miranda Hilmarson (Gwendoline Christie) das Geheimnis um die ermordete Asiatin lösen, die in einem Koffer an den Strand gespült wurde.
Man soll doch niemals nie sagen. Man hatte die neuseeländische Regisseurin Jane Campion schon ein wenig vergessen, die nach ihrer Hochphase Anfang der 90er (Ein Engel an meiner Tafel, Das Piano) zunehmend in der Bedeutungslosigkeit verschwand. Es war das Fernsehen, das sie 2013 wieder zurück in die Schlagzeilen brachte: Top of the Lake wurde weltweit gefeiert, für viele wichtige Preise nominiert. Eigentlich hätte es dabei auch bleiben sollen, die dramatische Krimiserie war in sich abgeschlossen. Vielleicht auch überrascht von dem großen Erfolg fiel jedoch schon Ende 2014 die Entscheidung, doch noch eine zweite Staffel zu drehen.
Drama um Drama um Drama
Vorkenntnisse braucht es nicht, um bei China Girl voll einzusteigen. Die meisten wichtigen Punkte werden frühzeitig geklärt. Lediglich eine erneute Begegnung von Robin und Al Parker bleibt ohne große Resonanz, sofern man die erste Staffel nicht gesehen hat. Aber man wird auch so mehr als genug zu tun haben bei dem, was Campion in die sechs Episoden gepackt hat. Erneut nimmt der eigentliche Krimi nur einen Teil der Serie in Anspruch. Dafür gibt es zwischenmenschliche Dramen im Überfluss. Robin, die sich doch noch an ihre Tochter wendet, das Ergebnis einer Massenvergewaltigung. Jane, die jetzt eine lesbische Beziehung führt. Die ganzen Streitigkeiten im Hause Edwards. Ach ja, Prostitution mit asiatischen Einwanderinnen gibt es auch noch.
Campions Herz schlug schon immer für ihre weiblichen Figuren. Es tut es auch diesmal, wenn sie die unterschiedlichsten Formen der zwischenmenschlichen Beziehungen beleuchtet – zwischen Selbstbehauptung und Ausbeutung. Die Männer kommen durch die Bank weg nicht besonders gut weg. Am besten erwischt es noch Pyke, der irgendwie gar nichts macht und für seine Passivität höchstens belächelt wird. Am anderen Ende: Marys mehr als doppelt so alter Freund, der sich als intellektueller Feminist darstellt, während er gleichzeitig ein Bordell leitet. Das ist von dem Schweden David Dencik (Men & Chicken) auf eine so unfassbar wunderbar widerliche Weise dargestellt, dass man sich vom bloßen Zuschauen her schon schmutzig fühlt.
Viele große Schauspieler, viel zu tun
Darstellerisch ist an der Serie dann auch nichts auszusetzen, erneut versammelt Campion ein immens begabtes Ensemble um sich – darunter ihre eigene Tochter Alice Englert (In Fear, Jonathan Strange & Mr. Norrell). Das Problem ist vielmehr die Geschichte selbst. Vieles davon besteht aus Zufälligkeiten der unangenehmsten Art. Dass jeder hier sein Päckchen zu tragen hat, geht prinzipiell in Ordnung, ist in der Summe aber so viel, dass China Girl viel zu nahe an Seifenopern kommt, in denen ohne Rücksicht auf Verluste Dramen über Dramen eingeprügelt werden. Das führt irgendwann so weit, dass Spannung und Anteilnahme deutlich sinken, dafür die Stirn kaum noch aus dem Runzeln herausfindet. Dabei finden sich viele tatsächlich interessante Themen und Motive in der Serie wieder, die es gelohnt hätte, weiter auszubreiten. Und an Überraschungen mangelt es ja ohnehin nicht, bis zum verstörenden FInale. Campion gibt dem Ganzen aber zu wenig Raum zur Entfaltung und verliert dabei leider die Balance aus dem Blick.
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