„Virus Tropical“, Kolumbien, 2017
Regie: Santiago Caicedo; Drehbuch: Enrique Lozano; Vorlage: Powerpaola; Musik: Adriana García Galán
Geplant war Paola nun nicht gerade. Schließlich hatte sich ihre Mutter vorher die Eierstöcke abklemmen lassen, zwei Kinder reichten ihr, vielen Dank. Und nicht jeder in der Familie war über den Neuzugang glücklich. Patty zum Beispiel ist ziemlich sauer darüber, ihren Status als Nesthäkchen aufgeben zu müssen. Aber so ist das nun mal bei der Familie aus Ecuador. Irgendwie kommt es immer anders, als sie gedacht haben. Da gehen Vater und Mama schon mal getrennte Wege, man zieht in fremde Länder, besucht neue Schulen, probiert den einen oder anderen Job aus, nur um am Ende doch wieder ganz woanders zu landen.
Dass der erste Eindruck trügen kann, man auch nicht immer alles anhand der äußeren Erscheinung urteilen sollte, das wissen wir eigentlich alle. Und doch ist es manchmal ganz schön schwierig, nicht in diese Falle zu tappen. Beispiel: Virus Tropical. Der sieht auf den ersten Blick so aus, als wäre es ein Kinderfilm. Als wäre er von Kindern auch gezeichnet. Die Perspektiven sind schief, Proportionen stimmen nicht immer, die Figuren sind ein wenig unförmig, die Hintergründe simpel. So als würden wir wahllos Papiere aus einem Schulmalblock herausnehmen. Mit einem Unterschied: Die Bilder sind schwarzweiß, werden es den kompletten Film auch über bleiben.
Kindlich, aber nicht unbedingt kinderfreundlich
Und es dauert auch nicht lange, bis man seinen inhaltlichen Irrtum hier begreift. Virus Tropical mag in der jüngeren Generation-Sektion der Berlinale 2018 gezeigt werden, hat aber nur wenig mit den rein familienfreundlichen Animationskollegen gemeinsam, die dort laufen. Mit Sex beginnt der Film, auch Drogen und Gewalt spielen später eine Rolle, Mobbing und Geldnöte. Die Bezeichnung dysfunktional wäre für die Familie eher noch geschmeichelt. Eigentlich klappt bei Paola und den anderen nie etwas, weder innerhalb der Familie noch im Umgang mit anderen Menschen. Selbst wenn zwischendurch mal das Glück winkt, so ist es gleich wieder verschwunden.
Und doch ist Virus Tropical kein Drama, das sich im Unglück badet. Vielmehr nutzte die kolumbianisch-ecuadorianische Zeichnerin Powerpaola in der zugrundeliegenden Graphic Novel die Gelegenheit, über ihre eigene Kindheit bzw. das Jugendalter zu sprechen. Darüber, wie sie am Ende die Turbulenzen meisterte. Wenn sich das kleine ungeplante Mädchen durchs Leben kämpft, mit einer instabilen Familie und ständigen Veränderungen ringt, auch beim anderen Geschlecht nicht immer alles glatt geht, dann sind das ihre Hürden auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Ganz kommt der Film dort zwar nicht an, aber wir ahnen schon, dass hier eine starke Persönlichkeit heranreift.
Ich bin anders und stolz darauf!
Das ist schon aufgrund der vielen Wendungen, die der über mehrere Jahre gehende Film durchläuft, eine spannende Angelegenheit. Hier wurde nicht auf Gefälligkeit oder drehbuchkonforme Spannungsbögen geachtet, das Leben hat die Geschichte geschrieben. Entsprechend lässt sich hier kaum vorhersagen, was als nächstes passieren wird. Und zumindest an der Stelle finden Inhalt und Verpackung dann doch wieder zusammen: Gewöhnlich ist Virus Tropical sicher nicht, trägt seine Andersartigkeit stolz und selbstbewusst vor sich her und ist am Ende ein ebenso großer Triumph wie Paolos Werdegang. Nicht alles muss einen roten Faden haben, nicht alles muss schön sein. Der kolumbianische und durchaus feministische Film schafft es, abseits der ausgetretenen Pfade seinen ganz eigenen Weg zu finden und ermuntert das Publikum, es ihm gleichzutun.
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