„Wildes Herz“, Deutschland, 2017
Regie: Charly Hübner, Sebastian Schultz
Feine Sahne wer? Die Skapunkband aus den hintersten Regionen Mecklenburg-Vorpommerns ging mit ihrem letzten Album „Sturm & Dreck“ (VÖ 19.01.2018) durch die Decke und hielt sich drei Wochen lang in den Top Ten der Album Charts; nicht schlecht für einen Soundbrei aus Bläsern, Gitarren und wütendem Stadiongegröhle. Seit 11 Jahren hauen die Rostocker Jungs um Frontmann Jan „Monchi“ Gorkow als linke Politpunker auf den Putz und verleihen dem antifaschistischen Kampf eine junge, laute Stimme. Wer jemals einen Auftritt der sechs Nordlichter miterlebt hat, kennt die unbändige Energie, die auch die Dokumentation Wildes Herz erfüllt. Schauspieler Charly Hübner zog sie ebenfalls in seinen Bann, sodass er den charismatischen Monchi zum Mittelpunkt eines Films machte.
Bereits in den ersten Einstellungen, im Tonstudio füllt sein massiger, nackter Oberkörper die Leinwand – auf der Brust prangt „reflection -> <3 -> rebellion“ – ein Mantra, das im Rückblick auf den Werdegang des nun 30-Jährigen, heutzutage mehr denn je zuzutreffen scheint: Mittelpunkt war und ist die Leidenschaft, das Temperament, das „wilde Herz“.
Geboren und aufgewachsen in dem Mecklenburg-Vorpommerschen Nest Jarmen, das für alle Bandmitglieder von Feine Sahne Fischfilet ein bisschen Heimat ist und sich seit „Wasted in Jarmen“ für die Hörer des Liedes auch ein bisschen wie Heimat anfühlt, entwerfen seine Eltern das treffende Bild eines properen Tunichtsguts, der den Erwachsenen Löcher in den Bauch fragt und bereits mit zehn Jahren nichts von Autoritätspersonen wissen will – den Nikolaus, weist er im Home-Video-Einspieler selbstbewusst auf einen Recherchefehler zu seiner Schullaufbahn hin.
Vom Fußball-Hooligan zum Politpunk
Keine halben Sachen, immer Vollgas, das ist Monchis Motto: Die Leidenschaft für Hansa Rostock erfasst den Jungen, so seine Mutter, lange bevor an Musik oder Antifaschismus zu denken war. An den Auswärtsfahrten mit bis zu 800 Hansa-Fans, mehr oder weniger betrunken, mehr oder weniger gewaltbereit, fasziniert Monchi der Zusammenhalt, die Einheit, die Stärke. Der Halbwüchsige erfüllt damals das Klischee eines fanatischen Fußball-Hooligans wie eine tragische Karikatur: Als 14-jähriger musste er noch von seinen Eltern betrunken aus der Dortmunder Arrestzelle abgeholt werden – immerhin eine einfache Autofahrt von sechs Stunden. Exzessen am Glas folgen heftige dritte Halbzeiten, Pyrotechnik und als Höhepunkt ein brennendes Polizeiauto bei den Krawallen in Stendal. Die Hansa-Fans zerstören aus Frust über ein abgesagtes Fußballspiel den Bahnhof der Provinzstadt in Sachsen-Anhalt.
Die Bilder der Ausschreitungen gleichen erschreckend den Aufnahmen aus Rostock-Lichtenhagen, als 1992 rechtsextreme Randalierer die Zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge attackierten und ein Wohnhaus vietnamesischer Gastarbeiter in Brand steckten. Bilder, die Wildes Herz anführt, um das Versagen der antifaschistischen Aktion in Mecklenburg-Vorpommern deutlich zu machen und auch Monchis Wandel zum Antifaschisten zu erklären. So ganz mag dieser narrative Kniff nicht gelingen. Der Protagonist ist zur Zeit der Krawalle erst 5 Jahre alt. Das politische Klima im Osten der Nachwendezeit ist durch diesen Exkurs aber sicherlich gut getroffen, bestätigt durch die Berichte der Bandmitglieder von omnipräsenten Neonazis während ihrer Kindheit.
Zur Musik bzw. zur Feine Sahne kam Monchi durch den Rat eines wohlmeinenden Lehrers, wie zuvor lässt ihn sein Temperament sofort Feuer fangen für diese Gemeinschaft: Es braucht nicht viel Überredungskunst von Bassist Kai, um die große Klappe und die Stimmgewalt für die Band zu verpflichten. Ein witziges Detail gibt Kai schmunzelnd preis: Diverse regionale Konzertlocations wollten zu dieser Zeit nichts mit der Deutschpunkband zu tun haben; zu sexistisch und prollig seien ihre Texte damals gewesen, erzählt der Bassist grinsend. Ein interessanter Infofetzen, der leider genauso wenig weiterverfolgt oder hinterfragt wird wie Monchis Abschied aus der Hooligan-Szene, der vermutlich mit seiner Vorstrafe wegen des brennenden Polizeiautos zusammenhängt.
Der Verfassungsschutzbericht liefert unfreiwillige PR
Der Aufstieg von Feine Sahne Fischfilet zur heutigen Popularität ist das Ergebnis von unermüdlichen Konzertouren durch JUZes und Punkschuppen, aber auch cleverer, lauter, fast penetranter Pressearbeit. Monchi und seine Jungs haben etwas zu sagen und tun es auch. Der Sound der Band hat sich seit der Gründung nicht nennenswert verändert, die große Klappe von Monchi verschafft Feine Sahne aber anscheinend umso mehr Gehör. Offensiv spricht sich die Band gegen Rassismus, Faschismus und Fremdenfeindlichkeit aus, fehlt aber auch nicht, wenn Neonazis durch die Nachbarschaft marschieren. Buttersäureangriffe auf ihren Bandraum oder direkte gewalttätige Konfrontationen sind an der Tagesordnung. Ein Lodern in Monchis Augen fällt auf, wenn er über die Notwendigkeit spricht, seine Heimat von den Nazis zu befreien. Das wilde Herz brennt für die Sache und macht Zeilen wie „Helme warten auf Kommando/Knüppel schlagen Köpfe ein […] Niemand muss Bulle sein!“ so energetisch und glaubhaft.
Ihre antifaschistische Arbeit in Mecklenburg-Vorpommern, eines der neuen Bundesländer, denen 2006 nachgesagt wurde, als No-Go-Area für Farbige zu gelten, ist zudem ebenso unermüdlich wie ihre Tourausdauer. Dennoch sind Feine Sahne nicht die einzige Punkband, die sich politisch engagiert, ein Eindruck, den der Film fälschlicherweise vermittelt. Die deutsche Punkszene ist weder tot, noch unproduktiv, zudem ereilte auch andere linke Bands, wie Auf Bewährung und Die Dödelhaie, das Schicksal vom Verfassungsschutz beobachtet zu werden. Feine Sahne Fischfilet rückte tatsächlich erst 2011, fünf Jahre nach ihrer Gründung, in die öffentliche Aufmerksamkeit, nachdem das Land Mecklenburg-Vorpommern den Punkern eine Seite im Verfassungsschutzbericht widmete, andere offen-rechtsnationale Musikgruppen und deren Holocaust-leugnenden Texten handelte der Bericht dagegen in einem Satz ab. Nichtsdestotrotz nutzten Monchi, Max, Kai, Christoph, Köbi und Olaf die unfreiwillige PR clever und gingen auf große Tour: Wenn der Staatsschutz schon mithört, dann sollen es auch alle Leute in der Republik hören: „Lichtenhagen, NSU, das alles war kein Zufall / Das Problem das heißt Rassismus / doch das ist euch scheiß egal! […] Verfassungsschutz und Nazis gehen weiter Hand in Hand“.
Hübner, der wie seine Protagonisten ebenfalls aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, begleitete die Band seit 2015 bis zur 43-wöchigen Tour im Sommer 2016 um für die Landtagswahl in Meck-Pom Stimmung zu machen. Beim Abschlusskonzert in Jarmen brennt Feine Sahne Fischfilet mit tausenden Feiernden ein riesiges Pyrofeuerwerk ab, ein pulsierendes Leuchtfeuer mitten im dunklen Osten der Republik. Wildes Herz endet mit Monchis Appell: „Den Arsch hochkriegen, Loide!“ Richtig so, mit Herz und Verstand.
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