„Hyakuen no koi“, Japan, 2014
Regie: Masaharu Take; Drehbuch: Shin Adachi; Musik: Shogo Kaida
Darsteller: Sakura Ando, Yuki Okita, Hirofumi Arai
Ichiko (Sakura Ando) ist eine Verliererin, das lässt sich gar nicht anders sagen. 32 Jahre ist sie inzwischen, hatte nie einen Freund, nie eine Arbeit. Schön, so ein bisschen hat sie im Bentō-Laden der Familie ausgeholfen. Das zumindest steht in ihrem Lebenslauf. Aber eigentlich hat sie auch dort nie was gemacht, weshalb es zu einem heftigen Streit mit ihrer frisch geschiedenen Schwester kommt. Ausziehen soll sie, so sagt die Mutter. Mal auf eigenen Beinen stehen. Das täte ihr gut. Aber das ist leichter gesagt denn getan. Ihr neuer Job in einem 100-Yen-Shop fordert ihr schon einiges ab. Doch es gibt ja auch kleine Lichtblicke, allen voran Yuji Kano (Hirofumi Arai), der in der Nähe Boxunterricht nimmt und wegen seiner etwas einseitigen Einkäufe nur der Bananenmann genannt wird.
Wir mögen sie doch alle, die Geschichten von absoluten Verlierern, die es dem Rest so richtig zeigen. Das ist gut fürs Herz. Meistens. 100 Yen Love macht es einem da dann aber doch erst einmal etwas schwierig. Denn das mit dem ins Herz schließen, das will bei Ichiko kaum klappen. Es gibt da einfach keinen wirklichen Anlass, sie zu mögen. Keine sympathischen Wesenszüge, die es wert wären, ihre Fehler zu übersehen. Und von denen gibt es einige. Ungepflegt ist sie, unfreundlich, bekommt kaum einen Satz heraus, von Beschimpfungen einmal abgesehen. Und sie nutzt ihre Mutter gnadenlos aus. Das sind nicht unbedingt die besten Voraussetzungen für eine Filmheldin.
Helden sehen anders aus
Aber das soll Ichiko eben auch nicht sein. Selbst später, wenn sie sich selbst die Boxhandschuhe überzieht und um sich kämpft, um ihren Platz in dieser Welt, Anerkennung und Selbstachtung. Selbst dann erreicht sie kaum die inspirierende Vorbildfunktion, die in dieser Art Film eigentlich selbstverständlich ist. Eben wie sie doch nicht selbstverständlich ist. Das Leben leider nicht immer so abläuft, wie wir es gern hätten. Du so viel trainieren kannst, wie du willst, alles richtig machst. Am Ende kann es gut sein, dass du dennoch eins aufs Maul bekommst.
Zunächst einmal ist 100 Yen Love jedoch weit von Erkenntnissen entfernt oder auch ernsten Aussagen. Denn selbst der Ernst des Lebens ist hier erst einmal komisch. Wenn Ichiko im Jogginganzug durch die Gegend schlurft, dann braucht es keine weiteren Worte oder Taten. Sie wirkt so fehl am Platz, so desorientiert, dass Lachen der einzige Ausweg ist. Und auch bei den anderen Figuren setzt der Beitrag vom Nippon Connection Filmfestival 2015 erst einmal auf Humor. Dauerplappernde Kollegen, Yuji, der immer nur Bananen kauft, eine ältere Frau, die obskure Verschwörungstheorien verbreitet. Irgendwie haben sie hier alle einen an der Klatsche.
Aus Spaß wird Ernst
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Film nichts Tiefgründiges zu sagen hätte. Gerade weil die Stimmung über längere Zeit heiter-verschroben ist, stechen die dunkleren Momente umso mehr hervor. Armut, die einen dazu zwingt, abgelaufene Lebensmittel zu stehlen. Die Perspektivlosigkeit junger Menschen, für die es im heutigen Japan durch den Wegfall alter Strukturen keinen wirklichen Platz mehr gibt. Und dann wäre da noch eine Szene, so grotesk wie brutal, dass im Anschluss nichts mehr ist, wie es vorher einmal war.
Solche plötzlichen Brüche und Ausbrüche gibt es einige in 100 Yen Love. Und nicht alle davon sind so wirklich nachzuvollziehen. Das ist seltsam, irgendwo auch ein bisschen schade, verstärkt es doch den unwirklichen Eindruck des Films, welcher den Slice-of-Life-Elementen zuwiderläuft. Dafür beeindruckt die Entwicklung von Ichiko selbst. Wenn Sakura Ando sich vom hässlichen Slackerentlein, das nicht einmal geradeaus schauen kann, in einen athletischen Schwan verwandelt, dann verschlägt es nicht nur ihrer Familie die Sprache. Gekämpft wird in dem Film insgesamt zwar nicht ganz so oft, am Ende geht es sehr viel mehr um die Protagonistin anstatt ums Boxen. Doch wenn der obligatorische alles entscheidende Kampf ansteht, dann wird hier niemand geschont. Das Ergebnis ist nicht unbedingt elegant oder ausgefeilt, steckt dafür voller Emotion. Hier geht es nicht darum, einen Titel zu gewinnen, um Ruhm und Ehre. Hier geht es darum, ein Mensch sein zu dürfen in einer Welt, in der die Menschen sich und andere verloren haben. Und das ist etwas, das kein Geld der Welt kaufen kann. Nicht einmal in einem 100-Yen-Shop.
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