Es ist nie zu spaet
© Artvid Productions

Es ist nie zu spät

„Aktiv ins Alter“, Schweiz, 2017
Regie: Manuel Schweizer

Es ist nie zu spaet
„Es ist nie zu spät“ läuft ab 22. März 2018 im Kino

„Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“, sang Udo Jürgens in einem seiner bekanntesten Lieder. Damals, vor etwas mehr als 40 Jahren, war das natürlich noch humorvoll gemeint. Inzwischen wurde der Inhalt aber von der Realität eingeholt, wenn nicht gar überholt. Die Lebenserwartung der Menschen steigt immer weiter, der Durchschnitt liegt jetzt schon bei über 80. Das Ende? Wer weiß das schon. Wichtiger aber noch ist, dass die Menschen heute auch länger fit bleiben. Dass sie ganz andere Möglichkeiten haben als die Senioren, die Jürgens damals besang. Jetzt heißt es nur noch, diese Möglichkeiten auch zu nutzen.

Manuel Schweizer hat einige gefunden, die das tun. Auf eine sehr beeindruckende Weise auch noch. Fredi Lehmann zum Beispiel. Der ist mit seinen 59 Jahren so etwas wie das Nesthäkchen der Truppe, das eine oder andere Jahrzehnt jünger. Dafür hat er aber auch eine Fitness und eine Körperbeherrschung, um die ihn die meisten 19-Jährigen beneiden würden. Wenn er als Show-Akrobat am Barren oder an Stangen herumschwingt, dann stockt einem zuweilen der Atem. Einiges von dem, was er da so treibt, widerspricht dem gesunden Menschenverstand, physikalischen Gesetzen, zumindest aber der eigenen Eitelkeit.

Und sie läuft und läuft und läuft
Die anderen Beispiele sind da schon eher relativer Natur. Verena Harzenmoser kann es beim Orientierungslauf beispielsweise nicht mehr den Besten aufnehmen. Sie lässt einen auch nicht vor Neid erblassen. Aber sie ist eben auch schon 86 Jahre alt. In dem Alter solche Läufe überhaupt noch bewältigen zu können, bis zu 30 Stück pro Jahr sogar, das ringt einem dann doch eine ganze Menge Respekt ab.

Noch einmal ein gutes Jahrzehnt älter ist Charles Eugster, der in der Kategorie 95+ – ja, die gibt es tatsächlich – einen neuen Weltrekord im Sprint aufstellen möchte. Da darf man dann schon mal ein wenig schlucken. Umso mehr, da der Schweizer anders als die meisten seiner Filmkollegen kein Langzeitsportler ist. Er hat sich erst spät fürs Laufen entschlossen, der Gesundheit wegen. Man müsse ja schließlich etwas für seine Muskeln tun. Sigi Amrein trainiert auch mit 80 Jahren noch täglich für den Triathlon, schwimmt jede Woche 25 Kilometer. Peter Roseney hingegen zieht es in die hohen Lüfte, wenn er mit 70 Jahren beweist: Man ist nie zu alt, um mit dem Fallschirmspringen zu beginnen.

Fitness ist mehr als Laufen und Schwimmen
Das sechste und letzte Beispiel fällt da ziemlich aus der Reihe. Nicht weil es weniger beeindruckend wäre. Eine 102-Jährige, die noch immer Klavier spielt, das sieht man dann doch nicht alle Tage. Sie ist aber nur wenige Minuten zu sehen (und hören), ist offensichtlich nicht mehr als ein Nachgedanke. Ein Indiz liefert auch das Presseheft, welches sie nicht einmal erwähnt. Möglich, dass die Doku sie auch deshalb so stiefmütterlich behandelt, weil der Fokus dann eben doch die körperliche Fitness war. Sie nur eine Alibifunktion hat.

Gleichzeitig ist das auch ein wenig die Schwäche von Es ist nie zu spät: Es wird so ausführlich über die physischen Aspekte gesprochen, dass andere Formen der Fitness komplett vergessen oder missachtet werden. So inspirierend es ist, die laufenden, schwimmenden und fliegenden Senioren zu sehen, die Frage des gesunden Geistes wird nicht einmal gestellt. Und das in Zeiten, in denen Altersdemenz ein immer wichtigeres Thema wird. Als Rundumpaket zum Thema rüstige Rentner ist der Film daher weniger geeignet. Aber es muss ja nicht jeder alles können, der Staun- und Unterhaltungsfaktor ist trotz dieser Einseitigkeit groß. Zudem lehrt die Doku dem Monster Alter ohne Furcht entgegenzutreten. Wird schon alles nicht so schlimm. Man muss nur wollen.



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Im Alter noch fit zu sein, davon träumen die meisten. „Es ist nie zu spät“ zeigt eine Gruppe von Senioren, die das mit Fug und Recht von sich behaupten können. Bedauerlich ist, wie sehr sich die Doku auf körperliche Fitness versteift und dabei andere Aspekte zu kurz kommen. Aber sie unterhält gut, erstaunt auch und funktioniert vor allem als inspirierendes Beispiel.