„Helle Nächte“, Deutschland/Norwegen, 2017
Regie: Thomas Arslan; Drehbuch: Thomas Arslan; Musik: Ola Fløttum
Darsteller: Georg Friedrich, Tristan Göbel
Der Schmerz hält sich für Bauingenieur Michael (Georg Friedrich) eher in Grenzen, als er von dem Tod seines Vaters erfährt. Das Verhältnis zu ihm war nie besonders gut gewesen, viele Jahre hatten sie sich nicht mehr gesehen. Schlimmer wiegt für ihn da schon, dass seine Freundin Leyla (Marie Leuenberger) beschlossen hat, für ihre Arbeit ein Jahr in die USA zu gehen. Und so geht Michael eben selbst fort, nach Norwegen, wo sein Vater zuletzt gelebt hat. Dort möchte er sich sammeln und auch seinem 14-jährigen Sohn Luis (Tristan Göbel) näherkommen, der bei seiner Mutter lebt und zu dem er nie wirklich eine Beziehung aufgebaut hat.
Weshalb Großvater allein gelebt hat, will Luis wissen. Wie man überhaupt in einem Land leben will, in dem es im Winter nie wirklich hell wird. Michael weiß es nicht. So wie er viele Fragen nicht beantworten kann, die seinen Vater betreffen. Helle Nächte ist der Versuch, diese Antworten zu finden. So wie Road Movies oft dazu da sind, Antworten zu finden. Michael tut das. Und gleichzeitig auch wieder nicht. Denn auch wenn ihn jede Antwort ein klein wenig näher führt, so wird ihm doch gleichzeitig dadurch erst bewusst, wie weit er entfernt ist von seinem Vater. „Das werden wir jetzt wohl nie erfahren“, sagt er an einer Stelle. Es liegt ein Bedauern in seiner Stimme, als er das sagt.
Die kümmerlichen Überreste einer Familie
Zu Beginn des Films denkt man noch, dieser große Graben, diese Stelle, sie seien auf den Vater zurückzuführen. Jener Mann, der während der gesamten Laufzeit kein Gesicht erhält, keinen Namen. Immer jemand bleibt, der in den nebligen Landschaften von Norwegen verschwindet. Als Michael seiner Schwester von dem Tod erzählt, erwidert sie nur, wie typisch es für ihn sei, sich einfach so davonzumachen. Auch zu ihr war der Kontakt abgebrochen. Eine Aussöhnung kommt für sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr in Frage. Es ist zu spät.
Doch Helle Nächte ist eben kein Film der Resignation. Regisseur und Drehbuchautor Thomas Arslan (Gold) schickt seine beiden Figuren auf die Reise, lässt sie suchen. Wonach sie suchen, das können sie selbst nicht so genau sagen. Nicht einmal, ob sie das wirklich wollen. Vor allem auf Seiten von Luis ist da viel Misstrauen, verkörpert von einem wunderbar mürrischen Tristan Göbel (Tschick). Die zaghaften Versuche seines Vaters, zu ihm durchzudringen, werden einsilbig abgeblockt. Vielleicht weil er den Kontakt nicht will, nicht nach der langen Zeit. Vielleicht weil er es auch nicht kann. Er es ebenso wenig wie sein Vater oder sein Großvater gelernt hat, sich anderen Menschen zu öffnen.
In der Stille ist kein Platz für großes Drama
Mannschaftssport sei toll, sagt Michael an einer Stelle. Wohl auch, weil er selbst nie Teil einer Mannschaft war. Die Annäherung an seinen Sohn, sie bedeutet zugleich eine Annäherung an sich, an seinen eigenen Vater, an die Welt da draußen. Leise ist sie, diese Annäherung. Vorsichtig. Ein klein wenig unbeholfen auch. Arslan vermeidet dankenswerterweise das große Drama. Es werden nicht jahrelang in Wut aufgestaute Worte um die Ohren gehauen, auch nicht eimerweise Tränen vergossen. Da sind ein Vater und ein Sohn. Da sind die weiten, wunderbaren Landschaften Norwegens. Da ist die Stille.
Das ist nicht wirklich aufregend, die Rundreise ist nicht unbedingt vollgepackt mit Ereignissen oder auch großen Erkenntnissen. Der Versuch eines Vaters, seinen Sohn kennenzulernen, das ist ein Szenario, das uns nicht wirklich fremd ist. Anstatt mehr daraus machen zu wollen oder kuriose Anekdoten einzubauen, konzentriert sich Arslan darauf, die Reise möglichst natürlich auszuarbeiten. Was ihm auch gelungen ist. Wenn wir durch die menschenleere Gegend fahren, Michael und Luis bei ihren Nicht-Dialogen zuhören, dann fällt es nicht schwer, sich als tatsächlicher Beifahrer zu fühlen. Irgendwo da draußen unterwegs zu sein, in der die Nächte hell sind und dennoch vieles im Verborgenen bleibt. In der Antworten so nahe zu sein scheinen, teils direkt vor einem liegen, nur um im nächsten Moment im Nebel zu verschwinden.
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