„Kissing Candice“, Irland, 2017
Regie: Aoife McArdle; Drehbuch: Aoife McArdle; Musik: Jon Clarke
Darsteller: Ann Skelly, Ryan Lincoln, John Lynch
Früher einmal, da muss Candice (Ann Skelly) es gemocht haben, mit ihrem Vater (John Lynch) zum Fischen rauszufahren. Inzwischen erträgt sie es aber nicht mehr. Erträgt nicht den Anblick der Fische, die in dem Boot nach Luft schnappen, langsam ersticken. Vermutlich weil sie selbst erstickt, in dem kleinen irischen Ort. Weg will. Dabei weiß sie auch schon, wer ihr dabei helfen wird. Jacob (Ryan Lincoln) heißt er. Sie hat ihn in einem Traum gesehen. Vielleicht war es aber auch eine Vision, die sie während einer ihrer epileptischen Anfälle hatte. Aber das ist nebensächlich: Als er eines Tages tatsächlich vor ihr steht, ist sie fest davon überzeugt, dass sie gemeinsam fortgehen können, um woanders ein neues Leben zu beginnen.
Werbefilme hat sie gedreht. Werbefilme und Musikvideos. Und das sieht man Kissing Candice auch an, mit dem die junge Nordirin Aoife McArdle ihr Spielfilmdebüt abliefert. Erzählen, ohne dafür Worte benutzen müssen, nur auf Bilder und Musik vertrauen, das liegt ihr. Atmosphärisch, da lässt sich hier kaum ein Vorwurf machen. Die dunklen Aufnahmen, mal von tiefen, dann wieder leuchtenden Farben geprägt, sie verschmelzen mit dem umhergeisternden Score zu einem stimmungsvollen Albtraum. Der Albtraum Jugend.
Ein Traum von einem Mann
Es erinnert dann auch manchmal an David Lynch, wie sie hier Realität und Vorstellung miteinander verschmelzen lässt. Was sich wirklich abspielt, was nur in dem Kopf von Candice geschieht, das wird nicht immer klar. Es ist ja nicht einmal ihr selbst klar, was sie tut, was sie sieht oder was sie will. Sie glaube an etwas, antwortet sie zu einem späteren Zeitpunkt, als sie gefragt wird, ob sie an Gott glaube. Zumindest aber glaubt sie an Jacob, auch wenn der eigentlich Mitglied einer gewaltbereiten Jugendgang ist und nicht so ganz dem Traumbild entspricht.
Aber was entspricht schon unserem Traumbild? Der Eröffnungsfilm vom irischen Filmfest Shebeen Flick nimmt uns mit in die Innenwelt einer verwirrten Jugendlichen. Und die ist nun einmal auf Gefühlen aufgebaut, weniger auf Vernunft. Auf Sehnsüchten und Begierden, die dazu veranlassen immer weiterzusuchen. Nach etwas. Nach jemand. Nach einem Ort, der einem selbst gehört. Wo sie sich auch selbst gehört. Das tut sie nämlich nicht. Ihr Vater – ein Polizist auf der Suche nach einem verschwundenen Jugendlichen – lässt das nicht zu. Will sie beschützen vor einer Welt der Gewalt und Abgründe. Vor dem Schaden, den andere ihr zufügen könnten. Vor dem Schaden, den die Epileptikerin sich auch selbst zufügen könnte.
Am Ende: kein bisschen schlauer
McArdle gelingt es sehr schön und anschaulich, diese Gefühlswelt auf die Leinwand zu bringen. Eine Welt, die für Candice gleichzeitig zu groß und zu klein ist. Eine Welt, aus der sie ausbrechen will, ohne zu wissen, was sie an ihrer Stelle braucht. Inhaltlich ist Kissing Candice daher fast schon zwangsläufig dünn. Der Film kümmert sich stärker um die allgemeine Stimmung einer perspektivlosen, provinziellen Jugend, die nur in Träumen und Gewalt ein Ventil findet. Die Geschichte ist da zweitrangig. Viele Elemente werden nicht zu Ende gebracht, erschließen sich auch nicht so recht. Sie sind Irrlichter, die von dem emotionalen Strudel verschluckt werden, hin und wieder in der Dunkelheit leuchten, ohne jemals zu einem Orientierungspunkt zu werden.
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