„Ladies First“, Indien, 2017
Regie: Uraaz Bahl
Frauen haben nicht zu arbeiten. Sie gehören nach Hause, an den Herd, zu den Kindern. Heutzutage vertreten glücklicherweise immer weniger diese antiquierte Ansicht. Der Weg zur vollständigen Geleichberechtigung mag hierzulande noch lang sein, wie die Unterschiede bei der Bezahlung oder Geschichten aus der #MeToo-Bewegung zeigen. Aber es wurde doch in den letzten Jahrzehnten so einiges erreicht. In Indien ticken die Uhren da noch ein wenig anders, langsamer. Dass die Frauenbewegung dort noch einiges aufzuholen hat, ist nicht wirklich ein Geheimnis.
Allein aus dem Grund schon tut Ladies First gut. Denn auch Deepika Kumari musste sich all diese Sprüche anhören, mit einem System kämpfen, das für sie eigentlich keinen Platz hat. Was sie tat, erfolgreich, mit einem Bogen. Richtig geplant war das nicht. Vielmehr war die Bogenschule eine Möglichkeit, ihre völlig verarmte Familie zu entlasten, die sich nicht einmal ein richtiges Haus leisten konnte. Jetzt kann sie es, Kumari avancierte zu einer der besten Bogenschützinnen ihrer Generation. Das brachte ihr Ansehen und Selbstvertrauen, ihrer Familie Geld – und vielleicht die Einsicht, dass Frauen durchaus auch Sport machen können.
Sympathisch, aber wenig originell
Die nicht einmal 40-minütige Netflix-Doku zeichnet dabei den Weg nach von einem Mädchen, das auf der Straße geboren wurde und es später allen zeigte. Das ist immer sympathisch, Underdog-Erfolgsstorys erfreuen das Herz selbst ohne größeren Kontexte. Dass Kumari auf diese Weise aber auch ein Vorbild wurde und ihren Beitrag zur Frauenbewegung leistet, das macht Ladies First natürlich noch ein klein wenig schöner. Originell ist die Doku dabei weniger. Regisseur Uraaz Bahl verlässt sich auf die typischen Bestandteile: chronologischer Aufbau, Interviews, Archivaufnahmen, dazu die eine oder andere Texteinblendung.
Anders als etwa Sovdagari – Der Händler, eine weitere Netflix-Kurzdoku über ärmliche Verhältnisse, ist Ladies First auch visuell nicht unbedingt spannend. Wer sich beispielsweise Szenen erhofft, in denen Kumari ihre sportliche Exzellenz unter Beweis stellt, der geht größtenteils leer aus. Wichtiger war es Bahl, die schwierigen Bedingungen Indiens aufzuzeigen. Ein Land, das überhaupt nicht darauf vorbereitet ist, Athletinnen zu unterstützen. Wenn wir zum Ende erfahren, dass ein Volk mit über einer Milliarde Menschen bis heute keine Olympia-Gold-Gewinnerin hervorgebracht hat, dann verdeutlicht dies, wie weit der Weg noch ist.
Aber auch die Frauen – das wird hier deutlich – müssen erst noch lernen, diesen Weg überhaupt zu beschreiten. Südkoreanerinnen seien nicht besser als Inderinnen, stellt Kumari irgendwann fest. Sie haben aber die notwendige Mentalität, überhaupt gewinnen zu wollen. Ladies First ist daher nicht nur die Geschichte einer Sportlerin, sondern auch Aufmunterung, das Leben selbst in die Hand zu nehmen – egal ob sich in dieser dann ein Bogen oder etwas anderes befindet.
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