Little Harbour

Little Harbour

„Piata lod“, Slowakei/Tschechien, 2017
Regie: Iveta Grofova; Drehbuch: Iveta Grofova, Marek Lescák; Vorlage: Monika Kompaniokova; Musik: Matej Hlavác
Darsteller: Vanessa Szamuhelova, Matus Bacisin, Katarina Kamencova, Johana Tesarová

Die 10-jährige Jarka (Vanessa Szamuhelova) wächst in Bratislava unter der Obhut ihrer kranken Großmutter (Johana Tesarová) und ihrer jungen Mutter Lucia (Katarina Kamencova) auf, die keine Mutter sein will und mehr an ihrem Aussehen, Partys und männlichen Bekanntschaften interessiert ist als an ihrer eigenen Tochter. Als die Großmutter eines Tages ihrer Krankheit und dem Alkohol erliegt und Lucia kurz darauf beschließt, nach Prag zu fahren, um ihr Glück als Sängerin zu versuchen, bleibt Jarka allein in der heruntergekommenen Wohnung zurück. Durch Zufall fällt dem Mädchen ein Kinderwagen mit einem im Stich gelassenen Zwillingspaar in die Hände. Sie entschließt sich kurzerhand gemeinsam mit ihrem besten Freund Kristian (Matus Bacisin), der im Gegensatz zu Jarka aus einem stabilen, jedoch überfürsorglichen Elternhaus kommt, das verwunschene Gartenhaus ihrer Großmutter in ein Zuhause nach ihrem Ideal zu verwandeln und sich dort um die beiden Babys zu kümmern.

Preisgekrönte Kindheitsutopie
Die slowakische Regisseurin Ivera Grofova, deren Spezialgebiet eigentlich im Animations- und Dokumentarfilm liegt, lieferte 2012 mit ihrem Debüt Made in Ash den slowakischen Kandidaten im Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Ihr zweiter Langfilm Little Harbour ist inspiriert vom gleichnamigen Roman der Autorin Monika Kompaniokova und wurde auf der 67. Berlinale als bester Film mit dem Gläsernen Bären in der Kinder- und Jugendkategorie Generation Kplus ausgezeichnet.

Obwohl die Geschichte um Jarka und Kristian aus einer Kinderperspektive erzählt wird, ist der Film dennoch ernst und in seiner Sozialkritik klar für ein erwachsenes Publikum gedacht. In einer Gesellschaft, in der Frust und Perspektivlosigkeit Alltag sind, in der Kinder Eltern werden, Mütter auf sich allein gestellt sind und Kinder schlichtweg keinen Platz haben, trifft man auf Jarka. Sie ist ein selbstbewusstes und gezwungenermaßen unabhängiges Mädchen, das um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter ringt, die sie nicht Mama nennen darf, und schließlich selbst zur Mutter wird, um den aufgelesenen Zwillingen die Familie zu geben, die sie selbst immer wollte. Jarka wird gespielt von Vanessa Szamuhelova, einer Nachbarstochter der Regisseurin, die ohne jegliche Schauspielerfahrung eine beachtliche und vor allem authentische Leistung bringt. Gemeinsam mit Matus Bacisin als Kristian trägt sie den Film. Die beiden Neulinge überzeugen in ihren Emotionen und ihrer Professionalität, aber vor allem einfach dadurch, dass sie Kinder sind.

Ungeschliffener Diamant
Streckenweise ist die Erzählung ein wenig unausgegoren. Zum Beispiel scheint ein Großteil der Bilder der zweiten Hälfte des Films nur der schönen Optik wegen oder aus Gründen der sommerlich-kindlichen Atmosphäre geschossen worden zu sein ohne inhaltlichen Fortschritt zu bedeuten. In der zweiten Hälfte driftet der Beitrag vom Mittel Punkt Europa Filmfest 2018 außerdem überraschend schnell in illusorische Konstellationen und Handlungen ab, wodurch einerseits ein starker Bruch zu ersten Hälfte entsteht und andererseits für Verwirrung gesorgt wird, da die fantastischen Elemente (abgesehen vom Ende) nicht deutlich genug von realen Vorgängen abgehoben werden.

Auch den Ausgang des Films kann man kritisch betrachten. Manch einer mag von der Magie der unerwartet märchenhaften Auflösung angetan sein, ein anderer mag das offene Ende als Umgehung eines passenderen, realistischeren Finales bemäkeln. Rückblickend steckt das Gesamtwerk mit seinen Ecken und Kanten vielleicht selbst noch in den Kinderschuhen. Doch trotz des fehlenden Feinschliffs bleibt Little Harbour in positiver Erinnerung. Die Absicht hinter der Geschichte wird vor allem im Gefühl, das im Schauspiel und in den Bildern steckt, zum Ausdruck gebracht.



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"Little Harbour" zeigt die harte Welt der Erwachsenen aus den Augen eines 10-jährigen Mädchens. Der Regisseurin gelingt es, die Essenz der Unschuld der Hauptfigur sorgsam einzufangen und sowohl in berührenden Bildern als auch mit einem Gefühl für die Magie der kindlichen Fantasie wiederzugeben.
7
von 10