„Reşeba – The Dark Wind“, Irak/Deutschland/Katar, 2016
Regie: Hussein Hassan Ali; Drehbuch: Mehmet Aktas, Hussein Hassan Ali
Darsteller: Rekesh Shabaz, Diman Zandi
Fremdartige Musik und schrilles Frauengetriller heißen den Zuschauer im zentralen Heiligtum Lalesh der Jesiden im Irak willkommen. Während des höchsten Feiertags der nicht-muslimischen Minderheit, die in Kurdistan zu Hause ist, begegnet er dem jungen Paar Reko (Rekesh Shabaz) und Pero (Diman Zandi), die sich schüchtern lächelnd vielsagend in die Augen blicken. Die beiden sind verliebt, ihre Väter haben bereits der Heirat zugestimmt, sodass Reko, der für eine amerikanische Ölfirma als Wachmann fern des Heimatdorfs tätig ist, bereits die Tage zählt, bis er endlich zu seiner Familie und seiner Geliebten zurückkehren kann. Der „Ölsee“ auf dem die Region liegt, sorgt zwar für Arbeitsplätze, vom Reichtum bemerken die Einheimischen dort jedoch wenig wie Reko bitter bemerkt. „Dein Lohn wird vor Deiner Hochzeit erhöht“ tröstet ihn sein Kollege, doch dazu kommt es nicht. IS Milizen fallen in die Stadt Shingal ein, töten die Männer und verschleppen die Frauen, darunter Pero, um sie an reiche Muslime in Syrien zu verkaufen.
Regisseur Hussein Hassan beginnt Reşeba – The Dark Wind wie einen Krimi und beendet ihn als tieftrauriges Drama: An wen Pero verkauft wird bleibt verborgen. Reko folgt den spärlichen Hinweisen nach Syrien und überquert den Tigris als wäre es der Styx, um seine Geliebte aus dem „Reich der Toten“ zurückzuholen. Unterstützt von kurdischen Soldaten und Arabern, die vermisste Frauen ausspüren und an ihre Familien verkaufen, findet Reko seine Geliebte. Peros phlegmatischer, gehetzter Blick lässt jedoch nur erahnen, was die junge Frau in den Tagen der Gefangenschaft über sich ergehen lassen musste.
Der Verlust von Identität und Gemeinschaft
Zwangskonvertierung zum Islam und Vergewaltigung mussten die geraubten Frauen über sich ergehen lassen; für die gläubige Jesidin Pero bedeutet das eine Verletzung auf mehreren Ebenen. Der jesidische Glauben wird von Generation zu Generation vererbt, durch Konversion verliert Pero ihren Platz in der Glaubensgemeinschaft. Rekos Familie weigert sich daraufhin, einer Heirat mit dem gefallenen Mädchen zuzustimmen. Allen Widerständen zum Trotz versucht Reko zu seiner verstörten Geliebten vorzudringen, doch Pero scheint eine andere geworden zu sein.
Einfühlsam, mit wenig Worten, aber umso bedeutungsvolleren Bildern zeichnet der Regisseur die Rückkehr Peros zu ihrer Familie und skizziert die angespannte Stimmung im Flüchtlingslager, in dem die Einwohner des Shingal-Gebirges seit dem ISIS-Überfall Schutz gefunden haben: Das schwere Trauma das Pero erlitten hat macht ihr ebenso sehr zu schaffen wie die Blicke der sie umgebenden Menschen. Unausgesprochene Vorwürfe verletzter Ehre, Unreinheit und Schuld belasten die befreiten Mädchen, besonders Pero, die seit ihrer Rückkehr fast kein Wort spricht.
Besonders betroffen macht Peros Geschichte vor dem Hintergrund der Filmentstehung: Ihre Geschichte beruht nicht nur auf einer wahren Gegebenheit, die Filmemacher rekonstruierten das traurige Schicksal von Gulna, die sie 2014 in einem Flüchtlingscamp trafen. Hassan und Produzent und Co-Autor Mehmet Aktaş weilen im irakischen Kurdistan als Mossul durch Islamisten angegriffen wurde. Vorerst als Dokumentation der Schicksale der verschleppten Frauen geplant, entschieden sich die Filmemacher für eine fiktive Bearbeitung des Themas, da die geschädigten, verstörten Frauen verständlicherweise Scheu hatten, ihre Geschichte vor der Kamera zu erzählen.
Die authentische Darstellung einer humanitären Katastrophe
Die Wahrhaftigkeit und Authentizität teilt sich kraftvoll in den Szenen des Films mit. Die Crew drehte an Originalschauplätze in der syrischen Stadt Til Kocher, in der Shengal Region und in Lalesh. Vor allem die Aufnahmen der heiligen Pilgerstätte und die religiösen Reinigungsrituale sind einzigartig und bemerkenswert, da das spirituelle Konzil der Jesiden nie zuvor eine Dokumentation der alten Bräuche zugelassen hat. So fremdartig und ruhig der Rhythmus dieser Gebete ist, umso verstörender, aber auch vertrauter kommen dem Zuschauer die Gewehrsalven untermalten, staubigen Kampfszenen vor. Hier wie da fasziniert die Glaubhaftigkeit, die die Bilder vermitteln: Aus begrenzten finanziellen Mitteln drehte Hassan an der Frontlinie zwischen ISIS und den kurdischen Widerstandstruppen YPG/YPJ und der PKK.
Auch die Schauspielleistung ist bemerkenswert: Bis auf Hauptdarstellerin Diman Zandi besteht der Cast aus Jesiden, die meisten sind Laiendarsteller, die den Krieg selbst erlebt hatten. Auf eine Vorgabe von Dialogen verzichteten Hassan und Aktaş meist, die Szenen fügen sich dennoch schlüssig zu einer ergreifenden Geschichte, deren Eindringlichkeit durch den Originalton in Kurdisch und Arabisch mit deutschen Untertiteln weiter gesteigert wird. Reşeba – The Dark Wind setzt die humanitäre Katastrophe eindringlich in Szene und lässt den Zuschauer mit tausend Fragen zurück: „Wie kann es soweit kommen?“, „Welchen Sinn hat religiöse Gewalt?“ und vor allem „Warum passiert es weiterhin?“
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