The Florida Project
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The Florida Project

„The Florida Project“, USA, 2017
Regie: Sean Baker; Drehbuch: Sean Baker, Chris Bergoch; Musik: Lorne Balfe
Darsteller: Brooklynn Prince, Christopher Rivera, Valeria Cotto, Willem Dafoe, Bria Vinaite

The Florida Project
„The Florida Project“ läuft ab 15. März 2018 im Kino

Bobby (Willem Dafoe) hat als Manager eines Motels immer eine ganze Menge zu tun. Mal ist der Eisautomat kaputt, dann fällt die Stromversorgung aus oder eigenartige Typen treiben sich auf dem Parkplatz herum. Meistens sind es aber die Bewohner, die ihm das Leben schwermachen. Die sechsjährige Moonee (Brooklynn Prince) und ihre Freunde Scooty (Christopher Rivera) und Jancey (Valeria Cotto) lassen beispielsweise keine Gelegenheit ungenutzt, für Ärger zu suchen. Und dann wäre da noch Moonees Mutter Halley (Bria Vinaite), die ständig mit dem Gesetz in Konflikt gerät und zudem immer wieder zu spät mit ihren Zahlungen dran ist.

Kein Filmemacher schafft es derzeit wohl derart stark wie Sean Baker, Randfiguren der Gesellschaft auszusuchen und ihnen eine Filmbühne zu bieten. Nicht dass er der einzige wäre, der Sozialdramen dreht. Verlierer gibt es auf dieser Welt schließlich mehr als genug. Es werden sogar immer mehr. Der Amerikaner findet aber immer wieder Protagonisten, die gleichermaßen gewöhnlich wie ungewöhnlich sind. Menschen, die direkt von der Straße kommen oder kaum davon entfernt sind, und doch gleichzeitig schillernde Gestalten.

Der Preis der Magie: 38 Dollar
Nachdem Baker sich zuletzt Pornodarstellerinnen (Starlet) und Transsexuellen (Tangerine L.A.) angenommen hat, taucht er dieses Mal in den Kosmos einer Motelanlage in Florida ein. Die befindet sich ganz in der Nähe von Disney World und sieht auch danach aus. Die Farbe ist irgendwo zwischen pink und lila. Der Name: Magic Castle. Richtig magisch ist es dort aber nicht. Gelegentlich steigen zwar auch tatsächliche Touristen dort ab, denen das Geld für eine bessere Unterkunft fehlt oder die einfach zu spät dran mit der Buchung sind. Die meisten Gäste sind aber Dauerbewohner am Rand des Existenzminimums, die mit Ach und Krach die täglichen 38 Dollar Miete aufbringen.

Einen Sommer lang folgt Baker diesen Figuren, zeigt ihren Alltag, die kleinen täglichen Träume und Nöte. Dabei sind diese – auch das ist ein Unterschied zu den üblichen Verliererdramen – nicht unbedingt Sympathieträger. Es gibt sie, die Momente, in denen man Mitleid mit ihnen hat. Doch im nächsten Augenblick überwiegt bereits wieder die Abscheu. Gerade die Kinder schaffen es auf eine unheimliche Weise, hinreißend und gleichzeitig fürchterlich zu sein. Da wird auf Autos gespuckt, Regeln sind nur dafür da, dass sie gebrochen werden können. Ach ja, die Sprache ist zudem eine Neudefinition von unflätig: Vergleichbar viele Flüche und wüste Beschimpfungen aus Kindermündern hat man nur selten gehört. Gleichzeitig sehen sie in dem Leben aber ein großes Abenteuer, stecken so voller Lust auf Erfahrungen, dass es einem warm ums Herz werden kann. Ganz zu schweigen von der Neugierde, was die Biester als nächstes aushecken.

Eine der schönsten Zumutungen, die das Kino bereithält
The Florida Project ist insgesamt ein Film voller Widersprüche. Wie zuletzt in Tangerine L.A. ist Baker ungemein nah dran an den Figuren und ihrem Leben. An vielen Stellen meint man, einen Dokumentarfilm vor sich zu haben, so roh und natürlich ist das Geschichten. Aber es ist eben auch schrill, laut, überdreht, teils über die Schmerzgrenze hinaus. Alles ist bunt, selbst in den schäbigsten Momenten. Ruhe? Keine Chance. Knapp zwei Stunden dauert das Drama. Und das spürt man. Die Abkehr vom Wohlfühlsektor und von klaren Sympathieträgern, sie ist trotz humorvoller Auflockerungen recht anstrengend. Sie reißt einen manchmal auch in Stücke.

Aber sie ist eben auch lohnenswert. The Florida Project hat kein Mainstream-Appeal, kümmert sich um Leute, die man persönlich nicht unbedingt kennenlernen wollte. Der Film verfolgt auch keinen roten Faden. Ganz ohne Entwicklung ist das Drama zwar nicht – eine Entwicklung in Richtung Abgrund, wohlgemerkt. Im Grunde besteht es aber aus lose angeordneten Momentaufnahmen, bei der jeder Tag neues Glück und Unglück bedeutet. Auch das wird nicht jedem gefallen, Baker zeigt uns ein Milieu, ohne es in eine bestimmte Richtung führen zu wollen. Aber die Reise ist hier das Ziel. Eine Reise, bei der man Laiendarstellern begegnet, wunderbar natürlich agierenden Debütanten. Und Willem Dafoe natürlich, der hierfür zum dritten Mal für einen Oscar nominiert wurde. Dass es nicht mehr Nominierungen wurden, ist schade, gleichzeitig aber auch passend für einen Film, der von den vielen vergessenen Menschen erzählt, die unsere Gesellschaft ausmacht. Von Menschen, die knallbunten Plastikträumen hinterherjagen und doch im besten Fall nur Almosen bekommen. Wegwerfprodukte einer Welt, in der Mädchen mit geklauten Armbändern zu Prinzessinnen werden und Magie in Dollar berechnet wird.



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Wo Magie draufsteht, da ist oft nur Schund drin, knallbunte Fassaden kaschieren den Abgrund dahinter. „The Florida Project“ nimmt uns mit in eine Motelanlage, wo wir einen Sommer lang mit Menschen am Rande der Gesellschaft verbringen. Und am Rande des Existenzminimums. Das ist anstrengend und mitreißend, ungeschminkt realistisch und zugleich schrill und überdreht. Ein Anblick, den man so schnell nicht wieder vergessen kann, ob man es nun will oder nicht.
9
von 10