„Transit“, Deutschland/Frankreich, 2018
Regie: Christian Petzold; Drehbuch: Christian Petzold; Vorlage: Anna Seghers; Musik: Stefan Will
Darsteller: Franz Rogowski, Paula Beer, Godehard Giese
Wer im Nachkriegs-Deutschland geboren ist und von Fluchterfahrung spricht, meint immer die anderen. Wie sich Flucht anfühlt, die Verzweiflung, aus der heraus man die Heimat verlassen und darauf hoffen muss, irgendwo ein neues Zuhause zu finden, bleibt eine vage Ahnung.
In Christian Petzolds Film Transit ist das anders. Hier erlebt der Deutsche Georg (Franz Rogowski) Verfolgung und Flucht am eigenen Leib – im Hier und Jetzt. Trotzdem scheint seine Geschichte irgendwo in den 40er Jahren angesiedelt: Deutschland wird von den Nazis beherrscht, die deutschen Truppen erobern nach und nach Frankreich. Aus dem besetzten Paris kann der junge Mann im letzten Moment nach Marseille fliehen. Dorthin, wo es noch sicher ist. Und wo schon unzählige Emigranten verzweifelt auf ihre Transit-Visa und Schiffspassagen in die USA oder nach Südamerika warten. Georg gelingt es, die Identität des toten Schriftstellers Weidel anzunehmen. So lernt er Marie (Paula Beer) kennen, die wie er auf ein Visum nach Mexiko hofft.
Erzählung aus der Nazizeit in modernem Setting
Das Irritierende wie Besondere an Transit ist, dass die Geschichte eben nicht in den 40ern Jahren spielt, als tatsächlich Unzählige in das noch nicht von der Wehrmacht besetzte Marseille flohen, um von dort über den Atlantik zu entkommen. Der Trick: Der Regisseur hat hier eine Erzählung der Schriftstellerin Anna Seghers aus dem Jahr 1942 verfilmt, belässt die Handlung aber in der Jetztzeit. Das Setting des Films ist modern; die französischen Polizisten, die Überwachungskameras, die Containerkräne im Hafen sehen aus, wie sie eben heute aussehen. Nur gehören in dieser Gegenwart gnadenlose Razzien und brutale Festnahmen zum Alltag.
Es ist nicht das erste Mal, dass Petzold sich mit dem Thema Flucht auseinandersetzt. Indem er aber hier – im Gegensatz zu seinen Filmen Barbara und Phoenix – völlig auf historische Kulissen verzichtet, versucht er seinem neuesten Werk eine besondere Aktualität zu verleihen. Statt einen musealen Film zu machen, habe er lieber eine Verbindung zu heute schaffen wollen, sagte der Regisseur auf der Berlinale, wo Transit im Wettbewerb Premiere feierte.
Zu viel Konzept für intensives Mitfühlen
Als Zuschauer kann man so die Brücke schlagen zwischen Gestern und Heute. Allerdings, auch das muss gesagt werden, wird man emotional nicht wirklich mitgerissen. Viel trägt dazu die zu reflektierte Erzählhaltung bei. Aus dem Off beschreibt die Erzählerstimme von Matthias Brandt immer wieder die Menschen um Georg herum, ebenso wie in Anna Seghers Roman. Diese teilweise wider die Bilder wirkenden Erklärungen verleihen dem Film leider etwas zu Konzeptuelles. Die Verzweiflung und Angst der beiden Helden bleibt verdeckt.
Und das obwohl die Schauspieler überzeugend die Leere und Verlorenheit der Entwurzelten, Wartenden zu vermitteln wissen. Franz Rogowski (Fikkefuchs), der deutsche Shootingstar auf der Berlinale, verleiht der Figur Georg viel Geduld, Sanftheit und Geradlinigkeit. Auch Paula Beer als Marie strahlt, mit dem immer starren Blick eines paralysierten Beutetieres, eine große Verlorenheit aus. Und eine daraus resultierende Fixiertheit auf das Entkommen. Liebe ist offenbar nicht die Motivation für ihre Beziehung zu einem deutschen Arzt (Godehard Giese), und auch die Hingezogenheit zu Georg scheint nicht zu reichen, um neue Lebenslust aufkeimen zu lassen. Transit, das lassen uns die Darsteller und die Erzählung spüren, ist eine Zwischenwelt – ohne Vergangenheit und mit einer nur blassen Hoffnung auf eine Zukunft. Die Parallelen zu den Flüchtlingen, die in der Gegenwart über das Mittelmeer Europa erreichen wollen, liegen auf der Hand.
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