„A Free Man“, Deutschland/Japan, 2017
Regie: Andreas Hartmann
Das mit dem Druck ist so eine Sache. Manche funktionieren nur, wenn welcher da ist, werden dadurch zu neuen Höchstleistungen angetrieben. Andere können oder wollen sich ihm aber nicht fügen, brauchen mehr Freiheit bei dem, was sie tun. Kei ist so ein Mensch. Wenn es nach seinen Eltern gegangen wäre, er hätte eine ordentliche Ausbildung absolviert, würde einer ordentlichen Arbeit nachgehen, würde ein ordentliches Leben führen. Aber es ging nicht nach seinen Eltern. Anstatt ihren Erwartungen zu folgen, entschloss er sich lieber, zum Militär zu gehen, das er jedoch aufgrund gesundheitlicher Probleme wieder verlassen musste.
Aber jetzt, dachten sich seine Eltern, jetzt wird er ja wohl vernünftig werden und an seine Zukunft denken. Das tat er auch, jedoch nicht auf die Weise, wie von ihnen erhofft. Nicht an die Uni oder ins Büro geht er. Er geht raus. Raus auf die Straße. Unter Brücken. In die Natur. A Free Man zeigt, wie sich Kei von allem losgesagt hat, was von ihm erwartet wird, was von anderen Japanern seines Alters erwartet wird. Aber es geht noch weiter. Anders als die berühmten Hikikomori, welche sich daheim vor der Außenwelt verbarrikadieren, hat Kei auch am Konsum kein Interesse. Moden sind ihm ein Graus, in mehrfacher Hinsicht. Er sehnt sich nach etwas Tieferem, Universelleren.
Die individuelle Suche nach Universellem
Eine ganze Zeit lang ist Andreas Hartmann dem jungen Mann gefolgt, durch die Stadt, durch die Natur. Hat ihn beobachtet, wenn er sich allein durch die Wälder schlägt, aber auch bei den zufälligen Begegnungen, die er unterwegs macht. Manchmal hört er ihm auch nur zu, wenn er über die Welt spricht und seine Schwierigkeit, seinen Platz darin zu finden. Das bleibt zwangsläufig sehr individuell: Auch wenn Kei sich über die Gesellschaft und das Menschsein an sich so seine Gedanken macht und nach universellen Wahrheiten sucht, wirkt er doch ein wenig fern von allem. In sich selbst verloren.
Manchmal schleicht sich der Eindruck ein, dass die Doku, welche im April 2018 auf dem Achtung Berlin Filmfest gezeigt wird, Keis Lebensstil etwas zu stark romantisiert. So als würde man einem Kind beim Spielen zusehen – was zumindest an einer Stelle kurios bis verstörend ist. Zudem entspricht der immer glatt rasierte, gut aufgelegte junge Mann so gar nicht dem Bild eines Menschen, der auf der Straße lebt. Dass er dabei aber einem Wunschtraum hinterherläuft, das merkt auch er irgendwann.
Und was jetzt?
So schön es ist, einmal aus allem auszusteigen, sich der auf Erfolg und Kommerz ausgerichteten Welt zu entziehen, es braucht dann doch auch die finanziellen Mittel für eine solche Unabhängigkeit. Essen wächst nun mal nicht auf Bäumen. Zumindest nicht immer. Auch Keis Liebe zur klassischen Musik und zu Büchern will erst einmal finanziert werden. Zum Ende des Dokumentarfilms dämmert es ihm, dass dieses Leben vielleicht keines für die Ewigkeit ist. Spannend wäre es gewesen, hier noch länger dranzubleiben. Zu erfahren, zu welchen Kompromissen der Japaner bereit ist bei seinem Ausstieg. Aber auch wenn A Free Man etwas vorzeitig endet, so waren vorher doch eine Reihe sehenswerter und spannender Momente dabei, die nicht nur einen jungen Menschen auf der Suche zeigen, sondern auch unser gewohntes Leben infrage stellen.
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