„Jeune Femme“, Frankreich, 2017
Regie: Léonor Serraille; Drehbuch: Léonor Serraille; Musik: Julie Roué
Darsteller: Laetitia Dosch
Sie weiß nicht, wo sie hin soll, wohl aber, wo sie hin will. Paula (Laetitia Dosch) hämmert an die Tür ihres Exfreunds, erst mit den Fäusten, später mit der Stirn. Dass er ihr nicht öffnen will, hält sie nicht weiter ab, ebenso wenig, dass es mitten in der Nacht ist. Zu verlieren hat sie schließlich nichts, da ihr nichts geblieben ist. Zuletzt war sie in Mexiko, jetzt ist sie zurück in Paris, dieser von ihr so verhassten Stadt. Diese Stadt, die auch von ihr nichts wissen will. Aber sie macht weiter, kämpft um jeden Job, den sie bekommen kann. Und darum, endlich jemand sein zu dürfen.
Ja, man darf Paula anstrengend finden, wie sie anfangs und auch später immer wieder mit dem Kopf durch die Wand will. Man muss es vielleicht sogar. Sie ist laut, hat kein Gespür für Befindlichkeiten anderer Leute und auch keine großen Hemmungen. Solchen Figuren begegnet man häufiger mal, im wahren Leben wie in Filmen. In Letzteren steckt hinter der ruppig-aufbrausenden Art, die auch vor Beschimpfungen wildfremder Menschen nicht zurückschreckt, meist ein weiches Herz. Bei Paula würde man das nicht unbedingt behaupten. Ein Herz hat sie, zweifelsfrei. Wenn sie nichts auf die Reihe bekommt, dann hat dieses auch viel damit zu tun. Mit ihren Gefühlen, die sie nicht im Griff hat. Aber es ist kein Herz, das sich unbedingt für eine Heldin geziemt.
Eine wenig heldenhafte Heldin
An solchen ist Regisseurin und Drehbuchautorin Léonor Serraille, die hier ihr Spielfilmdebüt abgibt, auch gar nicht interessiert. Ihr Bonjour Paris ist einer Figur gewidmet, die sicher alles andere als ideal ist. Von der auch nur die wenigsten würden behaupten wollen, dass sie gewöhnlich ist. Und doch ist es eben ihre raue Art, die ungefilterten Sturzbäche an Emotionen, die aus ihr herausbrechen, welche sie so faszinierend macht. Sollen doch andere französische Komödien mit künstlichen Nettigkeiten um Zuschauer buhlen. Gerade weil das hier so losgelöst von sozialen Normen abläuft, wirkt der Streifzug einer gestrandeten Mittdreißigerin umso authentischer.
Was nicht heißen soll, dass Paula immer die Wahrheit sagt. Man könnte es sogar fast einen Running Gag nennen, wie sie regelmäßig ihre Geschichte, ihre Persönlichkeit, sogar ihren Namen ändert, je nachdem, was gerade gefordert ist. Wenn sie sich beispielsweise in einem Jobinterview als fast krankhaft pedantisch bezeichnet, dann ist das kaum mit den vorangegangenen Szenen in Einklang zu bringen – und eben darum umso lustiger. Hinzu kommen diverse Szenen, die von absurd bis grotesk reichen, denen man gar nicht anders begegnen kann als mit einem hilflosen Lachen.
Großstädtische Einsamkeit mit großer Klappe
Natürlich hat Bonjour Paris aber auch eine ernste Seite. Die Lügen von Paula, sie dienen nicht in erster Linie der Bereicherung oder der Selbstdarstellung. Vom ersten Moment an, wo sie wütend an eine Tür hämmert, die so viele Türen sein könnte, wird klar: Hier sucht jemand einen Platz für sich. Im konkreten Sinne, Geld hat sie schließlich ebenso wenig wie ein Dach über dem Kopf. Vor allem aber braucht sie das Gefühl, irgendwohin zu gehören, Teil einer Welt zu sein, welche auch immer das sein mag. So bizarr ihre Versuche sein mögen, eben das zu schaffen, dahinter stecken doch eine Traurigkeit und Einsamkeit, die einen als Zuschauer kaum kalt lässt.
Bonjour Paris, das sowohl bei den Césars wie auch den Prix Lumières für Nachwuchspreise im Rennen war, bedeutet eine emotionale Achterbahnfahrt, die einen schon aufgrund der ungebändigten Energie Laetitia Doschs in den Sitzen hält. Es ist daher schön, dass die zuvor auf Filmfesten gespielte Tragikomödie nun im Rahmen der zweiten „Femmes totales“-Tour regulär durch deutsche Kinos tourt. Darin soll Filmen von Frauen die Aufmerksamkeit zuteilwerden, die ihnen oft verwehrt bleibt. Und zumindest diesem Beitrag der Tour wünscht man jede Aufmerksamkeit, die er bekommen kann.
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