„The Prince and the Dybbuk“, Deutschland/Polen, 2017
Regie: Elwira Niewiera, Piotr Rosolowski
Ein junger Mann schreitet über einen Friedhof, da und doch nicht da. Der Körper ist durchsichtig, droht in den Schatten zu verschwinden. Dafür sind die Männer, die im Anschluss durch das Bild laufen, umso realer und körperlicher. Und mindestens ebenso gespenstisch. Die erste Szene stammt aus Der Dybbuk, ein jiddisches Fantasydrama aus dem Jahr 1937. Die zweite zeigt einen Aufmarsch der deutschen Soldaten während des Dritten Reiches. Dazu hören wie Joseph Goebbels, der eben dieses Drama als Beispiel dafür nimmt, dass die jüdische Rasse die gefährlichste der Welt sei und man ihr nicht mit Gnade begegnen dürfte.
Der Prinz und der Dybbuk handelt jedoch nicht von diesem historischen Film. Er handelt auch nicht von dem jüdischen Volksglauben des Totengeistes Dibbuk, dem der eine oder andere vor einiger Zeit in Demon – Dibbuk begegnet sein mag. Er handelt erst recht nicht von der NSDAP, von Goebbels oder den vielen Verbrechen der Nazis. Vielmehr sind das alles Mosaikteile, die zusammen ein Bild ergeben versuchen. Das Bild von Michal Waszynski, dem Regisseur von Der Dybbuk.
Fragen über Fragen
Der ist seit mittlerweile über 50 Jahren tot. Es gibt noch einige, die sich an ihn erinnern, entweder als Menschen oder als Regisseur von über 40 Filmen. Die ihn aber kaum kennen. „Es tut gut, nicht zu wissen, wer ich bin“, steht da auf dem Plakat von Der Prinz und der Dybbuk. Waszynski selbst soll dies mal gesagt haben. Ob es ihm gut tut oder der Welt, vielleicht auch beiden, das ist nur eine von vielen Fragen, die der Film aufwirft. Für die es auch Antworten gibt. Antworten jedoch, die nur weitere Fragen nach sich ziehen, immer mehr Fragen, immer größere Fragen.
Es ist dann auch ein Wechselbad der Gefühle, das sich hier einstellt. Da ist viel Faszination dabei, irgendwo aber auch Frust. So wie der Mann in Der Dybbuk so ist auch Waszynski eine Art Gespenst, bei dem nie ganz klar wird, wer er ist, was er ist. Der Name änderte sich, er wechselte die Religion, so als wollte er seine Spuren verwischen. Als wollte er sich auch verstecken – ob nun vor sich oder anderen, das lässt der Film offen. Vielleicht verlor er sich aber auch nur in seinen Fantasien, wie ein Graphologe an einer Stelle sagt. Der Querstrich seines Ts ist vom Längsstrich distanziert. Als ob damit der Regisseur in seinem Wesen erfasst wäre.
Eine Spurensuche in vielen Formen
Nach und nach nähern sich seine späteren Landsleute und Kollegen Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski ihm an, wie auf einer Schnitzeljagd, sprechen auf der ganzen Welt mit Menschen aus seinem Umfeld. Da werden Anekdoten ausgetauscht, alte Bilder entziffert, über Homosexualität und Nobilität geplaudert. Oder darüber, dass er für einen Soldaten eigentlich ein bisschen zu fett ist. Dazu gibt es historische Aufnahmen, mal aus seinen Filmen entnommen, mal dem realen Leben. Oder das, was wir für ein reales Leben halten könnten.
Der Prinz und der Dybbuk, der seine Weltpremiere 2017 auf den Filmfestspielen in Venedig feierte und nun das filmPOLSKA Filmfest in Berlin eröffnet, bevor der reguläre Kinostart an der Reihe ist, nimmt uns mit auf eine Reise ins Ungewisse. In ein Grenzgebiet auch zwischen Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Fantasie. Für einen Dokumentarfilm ist ein derart essayistischer Ansatz ungewöhnlich, wird den einen oder anderen vielleicht auch verwirren, wenn nicht gar enttäuschen. Denn die harten Fakten, die wir in diesem Bereich gewohnt sind, seien sie nun real oder vorgetäuscht, es bleibt nicht viel von ihnen übrig. Wir haben viel gesehen, viele großartige Aufnahmen, haben einiges gelernt und erfahren. Und sind am Ende doch irgendwie nicht viel weiter gekommen, wandern noch immer über diesen Friedhof, durch diese Schatten, ohne aus diesen herauszufinden. Was auf seine Weise dann tatsächlich irgendwie gut tut.
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