„Lady Bird“, USA, 2017
Regie: Greta Gerwig; Drehbuch: Greta Gerwig; Musik: Jon Brion
Darsteller: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Beanie Feldstein, Lucas Hedges, Timothée Chalamet
Irgendwie ist das alles hier zu eng für Christine McPherson (Saoirse Ronan), die sich selbst den Namen Lady Bird gegeben hat. In ihrer konservativen katholischen High-School gibt es zu viele unsinnige Regeln, bei ihrer verständnislosen Mutter Marion (Laurie Metcalf) ohnehin. Und überhaupt, warum sollte sie weiterhin in der provinziellen Kleinstadt leben müssen? Zusammen mit ihrer besten Freundin Julie (Beanie Feldstein) träumt sie daher von einem größeren, aufregenderen Leben. Ein erster Schritt könnte dafür das Schul-Musical sein, für das sie sich bewirbt und wo sie auch mit dem netten Danny (Lucas Hedges) zusammen sein kann. Aber auch hier klappt das nicht alles so, wie von ihr gedacht …
Die Filmkritiken-Sammelstelle Rotten Tomatoes hat sich inzwischen zu einer solchen Medienmacht entwickelt, dass selbst für eher kritikagnostische Zuschauer kein Weg dran vorbeiführt. Dazu kann man nun stehen, wie man will, ebenso zu dem neuerlichen Hang zur Selbstdarstellung. Aber man darf der Internetseite durchaus auch dankbar sein, schließlich bekommen immer mal wieder filmische Perlen auf diese Weise eine Aufmerksamkeit, die sie sonst nie erhalten hätten. Siehe Lady Bird. Immerhin 196 positive Kritiken wurden dort verzeichnet, bis der erste Spielverderber meinte, die perfekte Wertung stören zu müssen – das war absoluter Rekord.
Pointiert, lebensnah, verschroben
Freunde pointierter Indie-Tragikomödien brauchten diese fruchtige Adelung natürlich nicht, um auf Lady Bird neugierig zu sein. Schließlich handelte es sich hierbei um das Regie-Solodebüt von Greta Gerwig, die neben ihrer Schauspielerarbeit wunderbare Drehbücher schreibt – Frances Ha und Mistress America. Und von denen kann man nie genug bekommen. Dass auch ihr neuester Film in der Hinsicht begeistert, das dürfte dann auch niemanden wirklich überraschen. Nah am Leben ist es und gleichzeitig verschroben, sehr beiläufig und doch hoch konzentriert.
Es ist keine neue oder ausgefallene Geschichte, die Gerwig da erzählt. Eine selbstsuchende Jugendliche, die gegen ihre Eltern und das Leben rebelliert, dabei aber selbst nicht sagen kann, was sie stattdessen will – das kommt in den besten Familien vor. Und in den nicht ganz so guten Familien. Eine solche sind die McPhersons dann auch. Man arbeitet fleißig, will etwas für die Gesellschaft machen, scheitert aber doch oft am grauen Alltag. Rechnungen, die bezahlt werden müssen, für die das Geld irgendwie nicht reicht. Lady Bird erzählt eben nicht nur von Teenagern, die von einem Prinzessinnenalltag träumen, sondern auch von einer Mittelschicht, für die es keinen echten Platz mehr gibt.
Mit derlei finanziellen Problemen hat Gerwig selbst sicher kaum zu kämpfen. Und doch ist es erstaunlich, mit welcher Sicherheit und welchem Gespür für Details sie in diese Welt eintaucht. Wie sie autobiografische Elemente – sie selbst stammt aus der Gegend und hat ihre Jugend dort verbracht – mit fiktionalen verbindet, um daraus eine glaubwürdige Lebensgeschichte zu basteln. Vieles davon wird einem bekannt vorkommen, sei es aus dem eigenen Leben oder zumindest aus Filmen. Der Kauf des Kleids für den Abschlussball, die Streitereien mit der Familie, die erste Liebe. Und doch ist Lady Bird eben nicht banal, sondern auf eine charmante Weise wahrhaftig, verzaubert, erheitert und bricht zwischendrin auch mal das Herz. So wie es das Leben manchmal tut.
Großartige Darsteller an jeder Ecke
Dass die Künstlerin auf ein immens talentiertes Ensemble zurückgreifen kann, veredelt das in jahrelanger Arbeit verfeinerte Drehbuch natürlich noch einmal deutlich. Die erst 23-jährige Saoirse Ronan konnte für ihre Darstellung der verunsicherten, rebellischen Tochter ihre mittlerweile dritte Oscar-Nominierung abstauben. Auch die aus Roseanne bekannte Filmmutter Laurie Metcalf durfte sich zeitweise auf einen Goldjungen Hoffnung machen. Daraus wurde am Ende zwar nichts, ihre Leistung als Mutter, die verzweifelt versucht, die Fäden ihres Lebens zusammenzuhalten, ist aber trotz der Niederlage eine triumphale Liebeserklärung an all die Eltern da draußen, die sich mit dem Alltag herumplagen, mit undankbaren Kindern, immer versuchen, es einmal besser zu machen, besser zu haben. Abgerundet wird der hochkarätige Cast durch die anderweitig oscarnominierten Lucas Hedges (Manchester by the Sea) und Timothée Chalamet (Call Me by Your Name), die als grundverschiedene Love Interests erneut zeigen, warum sie zu den herausragendsten Jungdarstellern der letzten Jahre zählen.
Natürlich muss man diese Art skurriler Alltagsgeschichten mögen, sich emotional in den Wirren dieses Alters wiederfinden können, vielleicht auch ein kleines bisschen nostalgisch veranlagt sein – der Film spielt passend zu Gerwigs Erfahrungen 2002, als es noch keine sozialen Netzwerke gab. Wer das tut, der wird sich schnell in die präzisen Beobachtungen und die stimmungsvollen Aufnahmen verlieben. Und in eine junge Protagonistin mit so vielen Ecken und Kanten und einer derart ausgeprägten Persönlichkeit, wie man sie in Jugendfilmen nur selten zu Gesicht bekommt.
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