Leanders letzte Reise
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Leanders letzte Reise

„Leanders letzte Reise“, Deutschland, 2017
Regie: Nick Baker-Monteys; Drehbuch: Nick Baker-Monteys, Alexandra Umminger; Musik: Christoph Berg
Darsteller: Jürgen Prochnow, Petra Schmidt-Schaller, Tambet Tuisk, Suzanne von Borsody

Leanders letzte Reise DVD
„Leanders letzte Reise“ ist seit 30. März 2018 auf DVD erhältlich

Eingeschlafen ist sie, ganz friedlich vor dem Fernseher, und nicht wieder aufgewacht. Für ihren Mann Eduard Leander (Jürgen Prochnow) ist die Situation natürlich traurig, schließlich waren sie viele Jahrzehnte miteinander verheiratet. Gleichzeitig bietet sich für den 92-Jährigen dadurch aber auch die Gelegenheit, sich seiner eigenen Vergangenheit zu stellen. Eine Vergangenheit vor der Ehe, in der weit entfernten Ukraine, wo Eduard als Soldat im Zweiten Weltkrieg stationiert war. Seine Tochter Ulrike (Suzanne von Borsody) will natürlich nichts davon hören, dass ihr betagter Vater sich allein auf diese weite Fahrt begibt und schickt ihm deshalb ihre eigene Tochter Adele (Petra Schmidt-Schaller) hinterher. Das klappt allerdings nicht ganz so wie geplant. Anstatt den störrischen Alten zurückzuholen, sitzt sie nun selbst im Zug in den Osten und begibt sich zusammen mit dem Ukrainer Lew (Tambet Tuisk) auf eine schwierige Reise in die Vergangenheit.

Ein kauziger alter Mann, der mit seiner rebellischen Enkelin auf eine gemeinsame Rundreise geht, das hört sich eigentlich nach einer Komödie an. Schließlich gibt es da viel Raum für komische Reibungen, gekoppelt mit einer allmählichen Annäherung, in der beide Seiten voneinander lernen. Während der zweite Punkt zumindest ansatzweise erfüllt wird, trifft der erste praktisch gar nicht zu. Vor allem am Anfang gibt es zwar noch den einen oder anderen lustigen Moment, wenn die zwei Familienmitglieder nur widerwillig Zeit miteinander verbringen und dabei regelmäßig aneinandergeraten. Regisseur und Co-Autor Nick Baker-Monteys verfolgt jedoch ein ganz anderes Ziel mit Leanders letzte Reise. Ein Ziel, das deutlich ernster und auch deutlich ambitionierter ist.

Vergangenheitsbewältigung auf mehreren Ebenen
Mit einem ganz persönlichen Schicksal geht es los: Wenn der 92-jährige Eduard die Reise antritt, dann um die Spuren einer verflossenen Liebe nachzugehen. Soviel wird recht früh klar. Baker-Monteys verknüpft dieses Thema aber zugleich mit dem einer Kriegsaufbereitung. Und das ist alles andere als einfach, vor allem wenn es dabei um das komplexe Verhältnis von Deutschen und Kosaken während des Zweiten Weltkriegs geht. Als wäre das alles aber noch nicht genug, wird diese historische Ebene mit der aktuellen in Verbindung gebracht: Leanders letzte Reise spielt während der Annektierung der Krim durch Russland und behandelt die tiefe Gespaltenheit der ukrainischen Bevölkerung.

Gleich drei Themenstränge gleichzeitig behandeln zu wollen, innerhalb von rund hundert Minuten, das hört sich nach einem vorprogrammierten Desaster an. Glücklicherweise – für das Filmteam wie auch das Publikum – bleibt dieses jedoch aus. Anders als Josef Bierbichler, der sich kürzlich mit seiner parallelen Familien-Vor-Nachkriegsgeschichte Zwei Herren im Anzug völlig verhob, ist Baker-Monteys wenigstens konsequent bei dem, was er da tut. Es gibt keine stilistischen Ausreißer, keine bizarren Elemente oder weltfremden Dialoge, die wie aus einem anderen Film stammen und verhindern, dass man die Geschichte als der Realität zugehörig empfindet.

Lasst mich mal durch, ich hab’s eilig
Dass Leanders letzte Reise letztendlich aber doch ein ähnliches Glaubwürdigkeitsproblem hat, das liegt in der mangelnden Feinfühligkeit und der besagten Konzentration. Anstatt Themen Raum zur Entfaltung zu geben, muss das hier alles sehr schnell klar werden. Da werden dann schon mal Zugpassagiere eingeführt, die viel zu offensichtlich Funktion sind statt Charakter, ein bloßer Anlass, um Gedanken aufgreifen zu dürfen. Und auch bei Adele hatte man es ein bisschen sehr eilig und lässt sie Wandlungen durchmachen, die nicht wirklich aus dem Film heraus entstehen.

Das ist insofern schade, weil mit den talentierten Schauspielern mehr zu holen gewesen wäre. Schmidt-Schaller (Stereo) gibt ihrer Figur zumindest einen Teil der Natürlichkeit wieder, den das Drehbuch vermissen lässt. Und Prochnow nimmt man zwar vielleicht nicht das Alter von 92 Jahren ab, ist grundsätzlich als verstockter Ex-Soldat mit tragischer Vergangenheit aber erneut sehenswert. Interessanter als die wenig ausgearbeitete Familienkonstellation sind die allgemeinen Überlegungen, welche das Drama so anstellt. Erinnerung und Verdrängung sind inhaltliche Konstanten, die Frage, wie wir durch unsere Vorgeschichte die werden, die wir sind. Und eben auch, dass die Einteilung in Helden und Verbrecher ins Kriegszeiten nicht immer so einfach ist, dass vieles dann doch von dem Blickwinkel abhängt und ob wir als Gewinner oder Verlierer aus einem Konflikt hervorgegangen sind. Das ist keine besonders neue Erkenntnis. In einer Zeit, in der öffentliche wie versteckte Propaganda die Gesellschaft zu formen versucht, aber nach wie vor eine wichtige.



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1. Eine persönliche Geschichte erzählen. 2. Eine schwierige Kriegssituation aufbereiten. 3. Den Zusammenhang zur heutigen Lage herstellen. Das ist schon recht viel, was „Leanders letzte Reise“ da versucht. Ein bisschen zu viel: Viele Übergänge und Themen sind auf Kosten der Glaubwürdigkeit erzwungen und verknappt. Stoff zum Nachdenken bietet das Drama aber, dazu sehenswerte Hauptdarsteller, welche über so manche Schwäche hinwegtäuschen.
6
von 10