Meister der Traeume
© Temperclay

Meister der Träume

„Nothingwood“, Frankreich/Deutschland, 2017
Regie: Sonia Kronlund

Meister der Traeume
„Meister der Träume“ läuft ab 3. Mai 2018 im Kino

Hollywood, klar, das kennt jedes Kind. Auch Bollywood, das bunt-spektakuläre Pendant in Indien, hat sich hierzulande längst einen Namen gemacht. Aber Nothingwood? Was soll denn das sein? Salim Shaheen bezeichnet damit Afghanistan, das in erster Linie durch Kriege, Taliban und Terroranschläge im öffentlichen Bewusstsein der Weltbevölkerung ist, weniger aufgrund filmischer Errungenschaften. Kein Wunder, denn dort gibt es nichts. Keine Förderung. Keine Struktur. Wenn es nach den Taliban ginge, es gäbe überhaupt keine Filme.

Und doch gibt es sie, Shaheen hat daran einen beachtlichen Anteil. Mehr als 100 hat er bereits abgedreht, derzeit arbeitet er an seinem 110. Werk. Das ist faszinierend, vor allem für Sonia Kronlund. Sie kennt sich aus in Afghanistan, die französische Filmemacherin, hat von dem Elend dort berichtet, von den Kämpfen. Als sie von dem Workaholic-Kollegen erfährt, beschleicht sie das Gefühl, bei ihren Berichten über das Land etwas vergessen zu haben, etwas übersehen zu haben. Und so dreht sie einen Film über ihn, während er selbst gerade einen Film dreht.

Der Mann hinter und vor dem Film
Das hört sich ein bisschen Meta an, nach einem Film über das Filmemachen. Meister der Träume, welches nach diversen Festivalteilnahmen (unter anderem Filmfest München und Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart) nun auch offiziell in die deutschen Kinos kommt, kümmert sich darum aber wenig. Kronlund spürt weniger den Unterschieden zwischen dem östlichen und dem westlichen Kino nach. Sie ist in erster Linie an dem Menschen interessiert, der so oft hinter der Kamera Platz nahm, manchmal auch davor.

Das ist mehr als verständlich, angesichts des Materials. Die Filme, die Shaheen dreht, sind B-Movies, typische Wegwerfprodukte mit Leidenschaft, aber ohne Professionalität oder Anspruch. „Spiel besser“ ruft der Regisseur einem seiner Schauspieler zu, mehr Nuancen lässt die Akkordarbeit nicht zu. Man könnte auch Trash dazu sagen, bunter Trash. Darauf lassen die Szenen beim Dreh oder früherer Werke schließen, die Kronlund in ihre Dokumentation einbaut. Dass dies so gar nicht zu dem kriegsgebeutelten Land passt, das ist der Französin natürlich bewusst. Es gelingt ihr aber nicht, daraus mehr als eine Kuriosität zu machen, auch weil sie keinen Gedanken an das Publikum seiner Filme verschwendet. Wer schaut sich diese Sachen an? Und warum? Das ist sekundär.

Der Paradiesvogel im Nirgendwo
Dafür steht er umso stärker im Vordergrund. Auch weil er das ganz gern so hat. Er ist laut, er ist selbstbewusst, etwas anstrengend, hält sich an keine Regeln, zieht seine Kollegin des Öfteren für ihre Ängstlichkeit auf. Lediglich einer seiner Stammschauspieler schafft es zeitweise, die Aufmerksamkeit auf sich lenken, was an seiner nicht minder präsenten Auftrittsweise liegt. Die Gesten sind ausufernd, Schamgefühle sind ihm fremd. Ausgerechnet in Afghanistan ein Kleid einkaufen zu gehen, das er in einem Film trägt? Das ist für ihn kein Problem. Und auch seine Frau hat sich daran gewöhnt, inmitten des grauen Alltags einen Paradiesvogel an seiner Seite zu haben.

Ohnehin ist Kronlund auch das ein Anliegen: Was ist mit den Frauen? Der Versuch ihnen näherzukommen scheitert jedoch, so wie sie allgemein das Thema und ihren Protagonisten kaum zu fassen bekommt. Dafür ist der Meister der Träume wohl auch schon zu sehr eine Projektionsfläche geworden. Er inszeniert sich selbst ebenso sehr wie seine Filme, verwischt bei beidem die Grenzen, wenn er persönliche Erfahrungen auf die Leinwand holen will. Er, der schon im Krieg lieber seine Soldaten filmte, als sich um die Welt drumherum zu kümmern. Das Ergebnis ist dann nicht unbedingt ein Hochgenuss, im Vergleich zu der westlichen Variante ist diese Traumfabrik schäbig, glanzlos, dürfte es eigentlich gar nicht geben. Doch aus eben diesem Widerspruch zieht der Dokumentarfilm auch seine Spannung: Er versteht nicht so recht, was da vor sich geht, macht daraus aber auch kein Geheimnis. Die Show muss weitergehen, der störrische Esel vorangetrieben, weiter Tee ausgeschenkt, selbst wenn drumherum Menschen in die Luft fliegen.



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Mehr als 100 Filme zu drehen, das ist schon unter normalen Umständen beachtlich. Wenn dies aber auch noch um kriegsgebeutelten Afghanistan geschieht, dann gleicht das einem Wunder. „Meister der Träume“ folgt dem Vielfilmer Salim Shaheen, spricht mit ihm über seine Geschichte und sein Land. Dessen Werke sind kaum erwähnenswert, er dafür umso schillernder – und auch etwas anstrengend.