„Pawo“, Deutschland/Indien, 2016
Regie: Marvin Litwak, Sonam Tseten; Drehbuch: Marvin Litwak; Musik: Sebastian Heinrich, JJI Exile Brothers
Darsteller: Shavo Dorjee
Dorjee (Shavo Dorjee) ist 18 Jahre alt, als sein Vater stirbt. Nun liegt es an der Mutter, sich um die Familie zu kümmern und sie zusammenzuhalten. Das ist einfacher gesagt denn getan. Sechzig Jahre ist es mittlerweile her, dass China Tibet besetzt hat, trotz diverser Aufstände haben sich die Einwohner nie von dieser Unterdrückung befreien können. Als Dorjee in einen dieser Aufstände involviert wird, landet er im Gefängnis, wo er regelmäßigen Folterungen ausgesetzt ist. Zwar gelingt es seiner Mutter, ihn einige Monate später freizukaufen. Doch eine Zukunft im eigenen Land, die hat er fortan nicht mehr. Also schließt er sich einem mehrwöchigen Fußmarsch über das Himalaya-Gebirge an, um in Indien ein neues Leben zu beginnen. Aber auch dort lässt ihn die Vergangenheit nicht fort.
Der Konflikt ist mittlerweile bereits einige Jahrzehnte alt. Andere würden argumentieren, dass die Frage, ob Tibet ein eigenständiger Staat oder Teil von China ist, schon sehr viel länger auf eine Antwort wartet. Bis heute ist die Einverleibung des zentralasiatischen Hochlandes durch den großen Nachbarn in der Staatengemeinschaft umstritten, selbst innerhalb von Europa gibt es hier keinen echten Konsens. Unstrittig ist jedoch, dass Tibet bis heute unter der Unterdrückung durch China zu leiden hat. Freie Persönlichkeitsentfaltung und Religionsausübung? Keine Chance.
Ein ungleicher Kampf
Basierend auf der realen Persönlichkeit Jamphel Yeshi, der sich 2012 aus Protest gegen die chinesischen Besatzer selbst anzündete, wirft Pawo einen Blick auf die Zustände in dem kleinen Hochland. Welche Partei Co-Regisseur und Autor Marvin Litwak dabei vertritt, daran lässt er keinen Zweifel. Von Beginn an zeigt er, welche Demütigungen und Anfeindungen die Tibeter zu ertragen haben, veranschaulicht durch Dorjee. So werden sie beispielsweise an der Schule gezwungen, auf Chinesisch zu reden, ihre eigene Sprache und die eigene Kultur dürfen sie höchstens versteckt in den eigenen vier Wänden noch ausleben.
Mit den historischen Streitigkeiten hält sich Pawo hingegen nicht lange auf. Ein paar eingeblendete Textkästen, das muss reichen. Eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit den Argumenten beider Seiten soll das Drama aber auch nicht sein, sondern das Porträt eines Mannes, der in Reaktion zu den Unterdrückungen Teil eines Unabhängigkeitskampfes wird. Sehr viel mehr als das erfahren wir leider nicht über den Protagonisten. Trotz einer längeren Passage zu Beginn, die ihn als Kind zeigen, bekommt er nicht die Gelegenheit, zu einem Charakter heranzureifen, bevor es ans Eingemachte geht. So sehr man als Zuschauer dann auch empört ist, wie mit Dorjee umgegangen wird, es hat relativ wenig mit ihm als Individuum zu tun.
Der unbekannte Freiheitskämpfer
Diese Distanz führt dazu, dass Pawo zwischendrin doch die eine oder andere Länge entwickelt – nicht verwunderlich bei einer Laufzeit von zwei Stunden. Aber es gibt doch immer wieder Szenen, die das Dranbleiben lohnen. Meist sind es bittere Szenen, gewalttätig bis schockierend, in denen die verzweifelte Lage noch einmal deutlich wird. Aber auch optisch hat die deutsch-indische Co-Produktion eine Menge zu bieten. Die Stadtbilder Indiens sind sehenswert, vor allem aber die prachtvollen Aufnahmen in gebirgiger Höhe verwöhnen das Auge mit einer Landschaft, die gar nicht vermuten lässt, mit wie viel Schmerz und Blut darum gekämpft wird, wem sie denn nun gehört.
(Anzeige)