„Tabula Rasa“, Belgien, 2017
Regie: Kaat Beels, Jonas Govaerts; Drehbuch: Malin-Sarah Gozin; Musik: Lachlan Anderson
Darsteller: Veerle Baetens, Stijn Van Opstal, Gene Bervoets
Mie d’Haeze (Veerle Baetens) hat nach einem Autounfall Schwierigkeiten, sich an Ereignisse zu erinnern und sich Dinge zu merken. Als sie sich plötzlich in einer psychiatrischen Klinik wiederfindet und von der Polizei über das Verschwinden eines ihr unbekannten Mannes befragt wird, versucht sie, ihr Gedächtnis zu durchforsten und dessen Lücken zu schließen und stößt dabei auf eine unglaubliche Geschichte.
Höchste filmische Verwirrunskunst
Wie muss sich das anfühlen, wenn sich das Kurzzeitgedächtnis nach wenigen Sekunden wieder leert, man nicht mehr weiß, was man getan hat oder wer die Person ist, die vorgibt, dich gestern kennengelernt zu haben? Es ist ein Mix aus Verzweiflung, Verwirrtheit und Angst, der Mie ständig umgibt. Sie muss sich auf ihren Mann Benoit (Stijn Van Opstal) und ihre nahestehenden Verwandten verlassen, ihnen alles glauben und ihnen vertrauen. Doch sagen sie alle die Wahrheit? Als Mie in der Psychiatrie aufwacht und mit dem Polizeikommissar Wolkers konfrontiert wird, zweifelt sie immer mehr daran. Die Erzählzeit von Tabula Rasa wechselt zwischen dem „Jetzt“ in der Psychiatrie und den vergangenen Monaten in Mies Leben. Immer mehr vergangene Ereignisse werden enthüllt und führen auf Mies jetzige Situation hin.
Filmisch gesehen wurde dieser Zustand der Verwirrtheit unglaublich gut umgesetzt. Hier wurde nicht nur mit wirren Träumen und Wahnvorstellungen gearbeitet, alleine schon die Stimmung und Farbgebung wirkt bedrohlich, bedrängend und düster. Das große Haus im Wald, das Mie und Benoit bezogen haben – in einem anderen Licht ein tolles altes Haus im Vintage-Look, im Tabula Rasa-Licht allerdings ein höchst unangenehmer Ort, als würden dich die Wände erdrücken. Hinzu kommen Handlungen und Szenen, die so mit uns spielen, dass wir uns bestens in eine Person hineinversetzen können, die für verrückt gehalten wird. Einfach nur beängstigend fühlt sich die Reise an, auf der wir Mie begleiten.
Das Blatt wendet sich ständig
Tabula Rasa kann im Allgemeinen als ein eher subtiler Thriller bezeichnet werden. Umso mehr sticht eine Episode heraus, in der es um Geisteraustreibung geht und die die Serie kurzzeitig etwas zu sehr in die Horror-Schiene drückt. Man ist verführt, die Serie an dieser Stelle als altbekannt und uninteressant abzustempeln. Ebenso, als sich das Beziehungsdrama weiterentwickelt und sich die Klassiker Eifersucht und Ehebruch herauskristallisieren, fühlt sich der Zuschauer dem Storyteller überlegen und denkt sich „ach schade, ich weiß schon, wie’s ausgeht…“ Die Retourkutsche folgt auf den Fuss. Du denkst, du hast die Story und Charaktere durchschaut? Du liegst definitiv falsch! Und das bis zum Schluss.
Die belgische Produktion hebt sich definitiv von anderen Thriller-Serien ab. Weit weg von Hollywoods non-stop Action lebt Tabula Rasa von bedeutungsvollen, manchmal auch langatmigen Episoden. Doch wer durchhält, wird belohnt. Das Ende ist ein wirklich großes Finale mit Aha-Effekt und perfekt ineinander laufenden Erzählsträngen. Von der schauspielerischen Darstellung, der Inszenierung und Musikuntermalung bis hin zu Spannungskurve und Story ist Tabula Rasa höchst anspruchsvoll und absolut empfehlenswert.
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