The Breadwinner

„The Breadwinner“, Kanada/Irland/Luxemburg, 2017
Regie: Nora Twomey; Drehbuch: Anita Doron, Deborah Ellis; Vorlage: Deborah Ellis; Musik: Mychael Danna, Jeff Danna

The Breadwinner
„The Breadwinner“ läuft im Rahmen des 25. Internationalen Trickfilm Festivals Stuttgart (24. bis 29. April 2018)

Als der Vater der 11-jährigen Parvana verhaftet wird, ist das nicht nur ein persönliches Drama. Es bedeutet auch bitterste Armut. Denn im von den Taliban kontrollierten Afghanistan ist es Frauen strengstens untersagt, Geld zu verdienen oder auch nur auf den Markt zu gehen. Während ihre Mutter versucht, ihre Familie durch eine Verheiratung der älteren Tochter zu retten, lässt Parvana nicht von dem Plan ab, ihren Vater im Gefängnis zu besuchen. Doch dafür braucht sie Geld, um die Wärter zu bestechen. Eine Idee, wie sie das anstellen könnte, hat sie bereits: Sie schneidet sich die Haare ab und gibt sich als Junge aus, um auf diese Weise kleinere Arbeiten annehmen zu können und Handel zu betreiben.

Es dürfte derzeit kein Animationsstudio weltweit geben, das ähnlich viele Kritikerherzen zum Schmelzen bringt und dabei in der breiten Öffentlichkeit so wenig wahrgenommen wird wie Cartoon Saloon. Drei Filme haben die Iren bislang produziert. Drei Filme von beachtlicher Qualität, die in den USA sogar jeweils für einen Oscar als bester Animationsfilm nominiert waren. Drei Filme, die in Deutschland jedoch kaum einer kennt. Nachdem Das Geheimnis von Kells Jahre später auf DVD erschien und es Die Melodie des Meeres sogar in die Kinos schaffte, steht ein hiesiger Release des neuesten Streichs The Breadwinner erst noch aus. Immerhin: Netflix hat sich des Films angenommen, wo er unter dem Titel Der Brotverdiener verfügbar ist.

Ein Film für ältere Kinder
Ein wirkliches Wunder ist das nicht, nicht in einem Land, das Animationsfilme oft nur als Mittel zum Zweck ansieht, den Nachwuchs ruhigzustellen. Und das ist bei The Breadwinner etwas schwieriger. Zwar basiert der Film auf dem gleichnamigen Kinderbuch der kanadischen Autorin Deborah Ellis. Doch auch wenn die Zielgruppe hier etwas jünger ist, so hat das Werk doch nichts mit den kunterbunten Kollegen zu tun, die mit tierischen Sidekicks, hohem Tempo, Popliedern und Slapstickhumor Kinderherzen höher schlagen lassen. Denn davon findet sich nichts hierin.

Es ist sogar erstaunlich düster, was die auch am Drehbuch beteiligte Ellis bzw. die irische Regisseurin Nora Twomey dem Publikum da zumuten. Ein verstümmelter Vater, Kriegstote, Misshandlung im Alltag, all das wird angesprochen, zum Teil auch gezeigt. Vor allem aber der Umgang mit Frauen dürfte für viele schockierend sein. Basierend auf Interviews mit Frauen und Mädchen in pakistanischen Flüchtlingscamps erzählt die Autorin, wie sehr diese diskriminiert werden. Wie ihnen einfachste Menschenrechte verweigert werden und bei jedem Versuch des Widerspruchs Gewalt droht.

Die Magie hinter dem Alltag
Doch die sehr ernsten Themen werden immer wieder von Momenten kindlicher Freude und Schönheit kontrastiert. Und von Poesie: Die Handlung wird regelmäßig durch eine Geschichte unterbrochen, die Parvana ihrem jüngeren Bruder erzählt und die von einem jungen Mann handelt, der gestohlene Samen vom bösen Elefantenkönig zurückholen will. Die Verknüpfung von realistischen Szenen mit magischen, die hat bei Cartoon Saloon Tradition. Während Das Geheimnis von Kells und Die Melodie des Meeres dabei irische bzw. keltische Motive einbauten, schaut The Breadwinner aber auch an der Stelle in Richtung Osten. Das Märchen von Parvana erinnert dabei stärker an die Werke von Michel Ocelot, allen voran seine düster-funkelnden Schattenspiele in Tales of the Night und Prinzessinnen und Drachen – nicht zuletzt weil Twomey hier ebenfalls eine Cut-out-Optik verwendet.

Ohnehin ist The Breadwinner visuell das erwartete Gedicht geworden. In einer Zeit, in der die wenigen 2D-Animationswerke auf copy & paste setzen, feilt Cartoon Saloon weiter an einer ganz eigenen, unverkennbaren Bildsprache. Realistisch und doch fantasievoll, im Grunde eher einfach gehalten, gleichzeitig aber voller Leben. Zusammen mit der atmosphärischen Musik von Oscar-Preisträger Mychael Danna (Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger) und seines Bruders Jeff entsteht so eine Welt, die gleichzeitig bekannt und fremd ist, eine Welt der Wunder und der Schrecken. Bleibt zu hoffen, dass es der Film doch noch nach Deutschland schafft. Zunächst einmal bleibt die Freude jedoch den Besuchern des Internationalen Trickfilm Festivals Stuttgart vorbehalten, wo der Geheimtipp Ende April 2018 zu sehen sein wird.



(Anzeige)

Der dritte Spielfilm des irischen Animationsstudios Cartoon Saloon steht den Vorgängern nicht nach. Zwar wird hier das keltische Erbe gegen den Orient ausgetauscht, die Geschichte um ein afghanisches Mädchen, das sich als Junge ausgeben muss, ist zudem deutlich düsterer. Aber auch „The Breadwinner“ überzeugt durch die Mischung aus Alltag und Märchen sowie durch eine wunderbare und eigenwillige Optik.
8
von 10