„The King“, USA/Deutschland/Frankreich, 2017
Regie: Eugene Jarecki; Musik: Robert Miller
Eines muss man Eugene Jarecki ja lassen: Er hat sich schon ein bisschen was einfallen lassen, um The King – Mit Elvis durch Amerika Charakter zu verleihen. 40 Jahre nach dem Tod von Elvis Presley einen Dokumentarfilm über ihn zu veröffentlichen, mag angesichts des „Jubiläums“ opportun sein. Und auch finanziell vielversprechend: Noch immer gehört der King of Rock’n’Roll zu den großen Goldgruben Amerikas, Einnahmen im hohen zweistelligen Millionenbereich zeugen von einer ungebrochenen Popularität. Aber was gibt es heute noch zu ihm zu sagen, was nicht schon unzählige andere über ihn gesagt haben?
Also entschied sich der Regisseur, nicht nur zeitliche Reise anzutreten, sondern auch eine räumliche. Genauer schnappte er sich den alten Rolls Royce des Megastars, lud diverse Fahrgäste ein und klapperte ehemalige Stationen Presleys ab. Hört sich nach einem Gimmick an. Zum Teil ist es das auch, denn letzten Endes besteht The King – Mit Elvis durch Amerika dann doch nur aus den üblichen Zutaten eines Dokumentarfilms: historische Aufnahmen und zeitgenössische Interviews. Auch an dem Gesetz der Chronologie rüttelt Jarecki nicht, fängt wie erwartet bei der Kindheit an, arbeitet sich sorgfältig an der Zeitleiste vor und beendet seinen Rundtrip mit dem frühen und unwürdigen Tod des Sängers.
Ein Objekt, viele Perspektiven
Und doch gewinnt The King – Mit Elvis durch Amerika, international auch als Promised Land bekannt, dadurch eben auch eine persönliche Note. Durch das ärmliche Schwarzenviertel zu fahren, in dem Presley aufgewachsen ist, sich mit den Leuten zu unterhalten, die dort heute wohnen, das wirft noch mal ein etwas anderes Licht auf ein Leben, das wir zum Großteil mit Glamour in Verbindung bringen. Es mangelt auch nicht an individuellen Anekdoten. Manche prominenten Gesprächspartner von Jarecki sind stärker an der gesellschaftlichen Bedeutung des Kings interessiert. Es kommen aber auch unscheinbare Wegbegleiter zu Wort, die in Erinnerungen schwelgen – darunter eine Indianerin, die schildert, wie Elvis völlig ergriffen ihrer jungen Tochter einen Kuss gab.
Bemerkenswert ist dabei, dass eine der gewöhnlichen Stolperfallen solcher Künstlerporträts vermieden wird: The King – Mit Elvis durch Amerika ist keine ehrfürchtige Huldigung, die vor lauter Verbeugungen die Perspektive verliert. Die bis dato ungekannten Erfolge des Musikers stellt dabei niemand in Frage. Ebenso wenig dessen Talent, abgesehen von einer Anekdote, die von Presleys erstem Gesangsunterricht erzählt. Gleichzeitig mangelt es nicht an Kritik, etwa an seinen künstlerisch wenig wertvollen Filmen, die in erster Linie Geldmacherei waren.
Elvis nur ein feiger Dieb?
Der vielleicht interessanteste Aspekt betrifft jedoch den Vorwurf, Presley hätte den Schwarzen ihre Musik geklaut, ohne etwas dafür zurückzugeben. Dass der Amerikaner für diese schwärmte, ist kein Geheimnis, vielleicht auch kein großes Wunder angesichts seiner Herkunft. Ob das nun moralisch verwerflich ist, wo die Grenze zwischen Verehrung und Ausbeutung genau liegt, das ist schwer zu beantworten. Spannender ist die Diskussion, ob Presley seinen Ruhm aber nicht zumindest dafür hätte einsetzen können, um mehr für eine Gleichbehandlung zu tun. Doch egal ob nun die Rassenfrage oder die Beteiligung der USA an Kriegen, er hielt sich raus, immer, wollte sich an keiner Kontroverse beteiligen, nicht mehr als ein unterhaltender Künstler sein.
Aber auch The King – Mit Elvis durch Amerika will sich an dieser Stelle nicht zu weit aus der Deckung wagen. Einem tatsächlichen Road Movie entsprechend sind Zwischenstopps nie von langer Dauer, seien sie geografisch oder thematisch. Kaum ist ein Thema angesprochen, ist es schon wieder vorbei. Viele der Stars, die ins Auto steigen – darunter Schauspieler Alec Baldwin und Country-Sängerin Emmlyou Harris – sind im nächsten Moment schon wieder verschwunden. Belanglos wird der Dokumentarfilm dadurch nicht. Vielmehr besteht der Reiz gerade in der Vielzahl an Stimmen, in der Vielzahl der Eindrücke und Überlegungen, die wir unterwegs einsammeln. Was würde Elvis zum Amerika von heute sagen? Was ist aus Amerika überhaupt geworden, in dem es hieß, dass jeder mit harter Arbeit etwas aus sich machen kann? Die aktuelle Präsidentschaft mit ihren absurden Verstrickungen und Interessenskonflikten spielt da noch nicht mal hinein. Die war während der Dreharbeiten nur am Horizont zu erahnen. Nostalgie und Ernüchterung, Begeisterung und Angst – Jarecki weckt Emotionen, die so widersprüchlich und flüchtig wie die Doku an sich sind. Die etwas in uns auslösen und doch am Ende so wenig fassbar sind wie das Phänomen, das vor 40 Jahren verstorben ist.
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