„Sandome no Satsujin“, Japan, 2017
Regie: Hirokazu Koreeda; Drehbuch: Hirokazu Koreeda; Musik: Ludovico Einaudi
Darsteller: Masaharu Fukuyama, Koji Yakusho, Suzu Hirose, Kōtarō Yoshida, Yuki Saito, Shinnosuke Mitsushima
Eigentlich ist der Fall völlig klar: Takashi Misumi (Koji Yakusho) hat seinen Chef an das Flussufer gelockt, ihn getötet, ausgeraubt und anschließend in Brand gesteckt. Davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt. Aus gutem Grund auch, hat Misumi die Tat doch längst gestanden. Eigenartig ist nur, dass er sich immer wieder in Widersprüche verstrickt und seine Geschichte abändert. Warum sollte ein geständiger Täter lügen? Und so wendet sich sein überforderter Anwalt Daisuke Settsu (Kōtarō Yoshida) an seine jüngeren Kollegen Tomoaki Shigemori (Masaharu Fukuyama) und Akira Kawashima (Shinnosuke Mitsushima) damit sie ihm weiterhelfen. Diese lassen sich dann auch auf das aussichtslose Wagnis ein, die Verteidigung zu übernehmen – auch weil Shigemori eigene Verbindungen zu dem Fall hat.
In den letzten Jahren hat sich der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda mit ruhigen Dramen wie Like Father, Like Son und Unsere kleine Schwester als Meister der präzise beobachteten Alltagsgeschichten etabliert, die sehr viel über die menschliche Natur zu sagen haben. Insofern dürfte es den einen oder anderen verwunderten Gesichtsausdruck gegeben haben, als bekannt wurde, dass sein neuester Film ein Triller sein würde. Ganz vergleichbar ist The Third Murder dann auch nicht mit den vorangegangenen Werken. Und doch, die Stärken des großen Filmemachers, sie sind auch hier zu spüren und zu sehen.
Der Mord ist nur der Anfang …
Zunächst einmal trifft es Thriller nicht so ganz. Mit einem Mord beginnt der Film, ja, der Mord wird bis zum Schluss auch der Antrieb sein für die Geschichte und die Figuren. Es steht aber nicht zu befürchten, dass der ältere Herr, der da im Gefängnis auf sein Urteil wartet, noch einen weiteren begehen wird. Es besteht auch keine weitere Lebensgefahr, für keinen der Protagonisten. Vielmehr ist das Verbrechen und die damit verbundene Suche nach Motiv und Täter Anlass dafür, sehr viel über Schuld im Allgemeinen nachzudenken.
Spannend ist das durchaus, nur nicht auf die Weise, die man bei dem Titel vermuten würde. So ist die Handlung recht sparsam angelegt. Die Ermittlungen führen Shigemori an verschiedene Orte, innerhalb der Stadt, aber auch weit entfernt. Verfolgungsjagden sind dennoch nicht angesagt, auch keine nächtliche und äußerst brenzlige Spurensuche. Dafür wird umso mehr geredet: In den zahlreichen Dialogen nähern sich Anwalt und Klient weiter an, die Grenzen verschwimmen – visuell wie auch inhaltlich. Shigemori, der anfangs nur daran interessiert ist, den Fall um jeden Preis zu gewinnen, gibt die Trennung zwischen Privatem und Beruflichem auf, um Antworten zu finden, die gleichzeitig sehr spezifisch und doch auch universell sind.
Gedankenspiele weit über das Genre hinaus
Als reiner Krimi ist The Third Murder, das seine Weltpremiere bei den Filmfestspielen Venedig 2017 feierte, daher auch nur bedingt zu empfehlen. Auch wenn die Motivation, bis zum Ende dranzubleiben, um die Auflösung des Falles zu hören, sehr hoch ist, so fehlen doch die üblichen Genrequalitäten, die den Reiz ausmachen. Hier werden keine Indizien gefunden, Alternativen zu dem Täter sind rar. Eigenwillig ist auch, dass das Publikum einige Wendungen schon erhält, noch bevor die Anwälte von ihnen erfahren. Wir also mehr wissen oder es zumindest zu wissen glauben, nur damit doch noch etwas ganz anderes aus dem Zylinderhut gezaubert wird. Koreeda ist nicht einmal daran interessiert, alles wirklich zu Ende zu erzählen oder leicht verdaulich vorzubereiten. Als Zuschauer fühlt man sich hier teils ebenso hilflos wie der Anwalt, der versucht, aus den konfusen Geschichten schlau zu werden.
Dieses Nebulöse wäre bei einem regulären Genrebeitrag tödlicher als die Tatwaffe. Aber ein regulärer Genrebeitrag ist das eben auch nicht. Wer gerne bei Filmen etwas mehr investiert, sich auf Gedankenspiele einlässt, die nicht direkt für die Handlung notwendig sind, der bekommt hier jede Menge Gelegenheiten dazu. Gedankenspiele zu Schuld. Zu dem Wert des Lebens. Zu Verantwortung. Zu Wahrheit auch, die immer das ist, was wir gerade aus ihr machen, und stark von der Perspektive beeinflusst wird. Und auch wenn das unterkühlte Krimidrama, das Ende Mai im Rahmen der Nippon Connection 2018 in Frankfurt am Main gezeigt wird, nicht die Antworten hat, die wir suchen, vielleicht auch brauchen, so bleibt am Ende doch mehr zurück, als es bei vielen anderen Filmen der Fall ist.
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