„Aggressive Retsuko“, Japan, 2018
Regie: Rarecho; Drehbuch: Rarecho
Was war Retsuko doch euphorisch, als sie in der Buchhaltung eines großen Unternehmens angefangen hat! Fünf Jahre später ist bei dem Roten Panda jedoch nicht mehr viel von der anfänglichen Begeisterung übrig geblieben, Ernüchterung hat sich breit gemacht. Vor allem ihr Chef, der sie für die niedrigsten Arbeiten missbraucht und kein Wort des Dankes für sie hat, geht ihr gewaltig auf die Nerven. Aber auch die Kollegen tragen dazu bei, dass bei ihr der Frust tief sitzt. Um diesen auszugleichen, schleicht sie sich regelmäßig zum Karaoke, wo sie bei Death-Metal-Songs mächtig Dampf ablassen kann. Eine dauerhafte Lösung ist das jedoch nicht, das ist ihr klar. Sie muss es auf eine andere Weise schaffen, aus dieser Situation herauszukommen.
Die Kreationen von Sanrio sollen in erster Linie eins sein: süß. Denn damit lässt sich eine Menge Kohle machen. Am bekanntesten ist hierbei natürlich Hello Kitty, die seit den 1970ern schon allen erdenklichen Merchandisingartikeln von Shirts über Grußkarten bis zu Gitarren ihr verkaufsförderndes Gesicht leiht. Aber auch kleine Häschen (My Melody), Pinguine (Tuxedo Sam) und Frösche (Keroppi) haben mächtig Geld in die Kassen des japanischen Unternehmens gespült. Da passt Retsuko, eine Vertreterin der seltenen Roten Pandas, wunderbar ins Konzept.
Niedlicher Death Metal
Was hingegen gar nicht ins Konzept passt, zumindest in das offensichtliche, ist dass besagte Retsuko in ihrem Privatleben Death-Metal-Songs ins Mikrofon kreischt. Ein herzallerliebstes kawaii-Püppchen und dieser Krach? Was genau soll das? Natürlich liegt in eben diesem Kontrast zwischen niedlicher Verpackung und hartem Inhalt der Reiz und Witz von Aggretsuko, das nach einer Mini-Produktion fürs japanische Fernsehen nun dank Netflix auch den Rest der Welt erobert. Diese Kombination ist so absurd, dass man nicht nur beim ersten Anblick darüber lachen kann.
Auf Dauer wäre das natürlich trotzdem wenig, selbst bei einer überschaubaren Dauer von 10 Episoden à 15 Minuten. Glücklicherweise beschränkte sich Regisseur und Drehbuchautor Rarecho aber nicht darauf, dieses Gimmick zu Tode reiten zu wollen. Vielmehr ist die Vorstellung eines Kleinen Pandas, der laute Rockmusik macht, nur der Aufhänger, um im Anschluss deutlich mehr zu erzählen. Deutlich mehr auch aus seiner Protagonistin herauszuholen.
Ich arbeite, also bin ich … wer?
Aggretsuko wandelt sich von dem Porträt einer knuddeligen Inkognito-Rockröhre zu einer sehenswerten Serie über Arbeitskultur und auch die Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft. Teile des Animes sind durchaus mit geläufigen Work-Sitcoms zu vergleichen, von The Office bis zu The Job Lot – Das Job Center. Die Figuren sind skurril, teilweise sogar so bescheuert, dass ihr bloßes Aufeinandertreffen schon jede Menge Komik erzeugt. Verstärkend kommt hinzu, dass nahezu jeder Angestellter einer anderen Tierart angehört – der frauenfeindliche Macho-Boss ist beispielsweise ein Schwein, auch Nilpferde und Gorillas gehen in dem Unternehmen ein und aus.
Dazu passt dann auch die Optik des Animationsstudios Fanworks, das sehr viel mit knalligen Farben und Kontrasten arbeitet. Details sind weniger wichtig, alles ist hier überdreht, die sehr einfachen Bilder beschäftigen durch witzige Designs das Auge. Aber hinter der kunterbunten Fassade steckt eben mehr. Im Laufe der Zeit wird sich Retsuko wandeln, anfangen, ihre Gefühle zu akzeptieren, sich nicht mehr unterzuordnen – weder dem Chef noch eigenen Erwartungen. Das zunächst so albern wirkende Aggretsuko erzählt vielmehr, vergleichbar zum Kollegen Hataraki Man, von Selbstverwirklichung im beruflichen Umfeld. Die Serie erzählt aber auch von Emanzipation. Von Frauen, die sich beim Chef einschmeicheln, um Vorteile aus ihrer Unterwürfigkeit zu gewinnen. Von Frauen, die einen Mann suchen, der für sie sorgt. Von Frauen aber auch, die es gelernt haben, sich nicht weiter unter Wert zu verkaufen, und den Platz in ihrem Leben suchen, der wirklich ihrer ist.
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